Daimler 23 PS Phönix-Rennwagen, 1900

Daimler 23 PS Phönix-Rennwagen, 1900

Für die vom 26. bis 30. März 1900 anberaumte zweite „Semaine de Nice“ entwickelte Wilhelm Maybach, Chefkonstrukteur der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG), die Reihe der seit 1898 gebauten Daimler Phönix-Rennwagen weiter. Nach dem zwar ordentlichen, aber letztlich doch wenig befriedigenden Abschneiden im Jahr zuvor stand zunächst eine Erhöhung der Motorleistung auf der Agenda: Bereits im Oktober 1899 wurde ein auf 5,5 Liter Hubraum vergrößertes Vierzylinder-Triebwerk fertiggestellt. Wie seinerzeit weit verbreitet, zeigten die Aggregate bei Prüfstandtests eine erhebliche Leistungsbandbreite. Die offizielle und in der Typenbezeichnung zum Ausdruck kommende nominelle Leistung von 23 PS/17 kW streute in der Praxis bei zehn gemessenen Motoren von 23,86 PS/17,55 kW bis 28,88 PS/21,24 kW, jeweils bei einer Drehzahl von 900/min.

Implantiert wurden die großvolumigen Vierzylinder in ein Fahrgestell, dessen tragende Elemente wie bisher Pressstahl-Längsträger mit U-förmigem Querschnitt waren. Mehrere Quertraversen gaben die nötige Stabilität. Die vorne und hinten fast gleich großen Räder hingen an zwei Starrachsen, die von Halbelliptikfedern geführt wurden. Gegenüber den bisherigen Vollelliptikfedern ermöglichte dies eine deutliche Absenkung des Rahmens und des Fahrzeugschwerpunkts. Der 23 PS Phönix-Rennwagen konnte je nach Kundenwunsch in unterschiedlichen Konfigurationen geliefert werden. Es gab einen kurzen und einen langen Radstand, beide Versionen konnten mit verschiedenen Aufbauten versehen werden. Charakteristisch für das Erscheinungsbild dieser bisher leistungsstärksten Phönix-Rennwagen war übrigens die nun eine eckige statt bislang runde Grundform des Röhrchenkühlers, der tief unten, zwischen den Vorderrädern, platziert war.

Emil Jellinek, der wie stets einer der treibenden Kräfte hinter diesem für das Automobilsportjahr 1900 weiterentwickelten Daimler Phönix-Rennwagen war, nahm den ersten Wagen Ende 1899 in Empfang und meldete – wiederum unter seinem Pseudonym „Mercédès“ - zwei davon in der Klasse C (über 400 kg) für die inzwischen etablierte Rennwoche von Nizza. Für „Mercédès I“ und „Mercédès II“ verpflichtete Jellinek zwei der besten und erfahrensten Fahrer ihrer Zeit: die DMG Werksfahrer Wilhelm Bauer und Hermann Braun.

Weder für den automobilsportbegeisterten Jellinek noch für die Daimler-Motoren-Gesellschaft stand diese prestigeträchtige Veranstaltung jedoch unter einem guten Stern. Die bis zu 29 PS/21 kW leistenden Phönix-Rennwagen zeigten mit ihrem zwar abgesenkten, aber noch immer recht hohen Schwerpunkt und einer dem hohen Motorgewicht geschuldeten ausgeprägten Frontlastigkeit, vor allem in der Ausführung mit kurzem Radstand, ein nicht in allen Situationen ausgewogenes Fahrverhalten – noch war ein vertieftes Verständnis für fahrphysikalische Zusammenhänge kaum vorhanden. 

Schon am ersten Tag der Rennwoche, bei der Fernfahrt Nizza – Marseille, überschlug sich Hermann Braun mit „Mercédès I“, trug aber nur leichte Verletzungen davon. Braun ging auch am letzten Tag der Rennwoche, am 30. März, an den Start. Beim mit Spannung erwarteten Bergrennen Nizza – La Turbie, einem der Höhepunkte der gesamten Veranstaltung, übernahm er die Funktion als Beifahrer. Am Steuer saß sein Mannschaftskollege Wilhelm Bauer. Bereits in der ersten Kurve und bei schon erhöhter Geschwindigkeit verlor dieser die Herrschaft über den Phönix-Rennwagen und schlug hart in eine Felswand ein – mit verheerenden Folgen: Bauer wurde schwer verletzt und verstarb am nächsten Tag. Hermann Braun kam mit leichten Blessuren davon. 

Bis heute sind die genauen Umstände des Unfalls nicht abschließend geklärt; ein Artikel in der „Allgemeinen Automobil-Zeitung“ nennt als Ursache ein plötzliches, nicht mehr abzufangendes Ausweichmanöver aufgrund von Fußgängern, die die Strecke querten.

Einzige kleine Lichtblicke für die DMG blieben die Siege des britischen Privatfahrers E. T. Stead, der im Rahmen der Rennwoche auf einem viersitzigen 23 PS Phönix-Wagen mit längerem Radstand jeweils die Touristenklasse bei der Fernfahrt Nizza – Draguignan – Nizza und beim Bergrennen Nizza – La Turbie gewinnen konnte.

Nach dem für Jellinek erneut enttäuschenden Abschneiden der aktuellen Daimler Rennwagen in Nizza forderte er gegenüber der DMG nun mit Nachdruck, völlig neue Wege bei der Konstruktion eines konkurrenzfähigen Wagens zu gehen.

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