Mercedes 2-Liter-Indianapolis-Rennwagen, 1923

Mercedes 2-Liter-Indianapolis-Rennwagen, 1923

Schon für die Automobilsportsaison 1922 war ein neues Motorreglement in Kraft getreten, das – gleichgültig, ob mit oder ohne Aufladung – eine Hubraumbeschränkung auf 2000 cm³ statt zuvor 3000 cm³ vorsah. Da nach dem Ende des Ersten Weltkriegs für deutsche und österreichische Automobilhersteller noch immer ein Verbot bestand, am französischen Grand Prix und anderen bedeutenden internationalen Rennen in Frankreich und Belgien teilzunehmen, richtete sich der Blick der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) auf die Rennsportszenerie in den USA sowie auch weiterhin in Italien – Länder, in denen deutsche Fabrikate am Start renommierter Rennveranstaltungen willkommen waren.

Noch im Jahr 1922 wandte sich die DMG der Entwicklung eines neuen 2-Liter-Rennmotors zu. Dies geschah nicht zuletzt, weil sich auch die Veranstalter des 500-Meilen-Rennen von Indianapolis dazu entschlossen hatten, ab 1923 für das größte Rennspektakel des Jahres die europäische Motorenformel zu übernehmen - eine Entscheidung, die auch darauf abzielte, weitere Hersteller vom alten Kontinent nach Übersee zu locken.

Die Neukonstruktion orientierte sich am Vorbild der hochmodernen 1,5- und 2,6-Liter-Königswellen-Vierzylinder mit Kompressor, die kurz zuvor eine neue Ära der Motorenentwicklung bei der DMG begründet hatten. Mit Zylinderabmessungen von 70 x 129 mm war das 2-Liter-Triebwerk deutlich unterquadratisch ausgelegt und wies in der Frühphase der Erprobung, wie der 2,6-Liter-Serienmotor, noch eine dreifach gleitgelagerte Kurbelwelle auf. Nach den ersten fünf Versuchsaggregaten ging man zu einer gebauten Hirth-Kurbelwelle über, die in drei Rollenlagern ruhte – übrigens das erste Triebwerk der DMG, das dieser Bauart folgte.

Bei der Konzeption von Zylinderkopf und Ventilsteuerung griff man weitgehend auf die beim 1,5-Liter-Motor eingesetzten Technologien zurück. Das neue 2-Liter-Renntriebwerk verfügte folglich über zwei oben liegende Nockenwellen, die über Stößel je zwei Ein- und Auslassventile pro Zylinder betätigten. Gegenüber dem älteren 1,5-Liter-Motor tauschte man jedoch die Positionierung von Einlass- und Auslassventilen.

Eine weitere Neuerung, die über Jahrzehnte stilbildend für die Auslegung von Mercedes-Benz Rennmotoren werden sollte, bestand in der Verschweißung von Zylinder und Zylinderkopf, die beim 2-Liter-Rennmotor erstmals vorgenommen wurde. Ziel dieses Kunstgriffs war es vor allem, die Zuverlässigkeit der durch hohe Arbeitsdrücke belasteten Kompressor-Triebwerke zu erhöhen. Aufgrund ihrer vielfach noch unzureichenden Materialgüte neigten die zeitgenössischen Zylinderkopfdichtungen unter solchen Bedingungen zum Durchbrennen.

Die offizielle Leistungsangabe von 150 PS/110 kW bei 4800/min mit Kompressor spiegelt nach Einschätzung von sachkundigen Automobilhistorikern eher das Leistungsvermögen des Motors gegen Ende seiner Entwicklung im Jahr 1924 wider. Realistischer dürften Schätzungen sein, die sich in Werksaufzeichnungen aus den 1940er- und 1950er-Jahren finden. Dort wird eine Höchstleistung von 110 PS/81 kW bis 125 PS/92 kW bei 4500/min mit Kompressor angegeben.

Während es antriebseitig viel Neues gab, entsprach der Aufbau des Fahrgestells gewohnter Praxis. Das Rückgrat bildeten zwei mehrfach miteinander verstrebte, U-förmige Längsträger aus Pressstahl, die vorne und hinten jeweils eine an Halbelliptikfedern aufgehängte und mittels Reibungsstoßdämpfern unter Kontrolle gehaltene Starrachse trugen. Im Bereich der Blattfederaufnahme an der Hinterachse waren die Längsholme nach oben gekröpft, um einen niedrigen Wagenkörper zu erreichen. An ihrem hinteren Ende waren sie darüber hinaus nach innen gebogen. Rundum sorgten Innenbackenbremsen für Verzögerung.

Da das für 1923 neu gefasste Reglement des 500-Meilen-Rennens von Indianapolis erstmals darauf verzichtete, zwingend die Mitnahme eines als Mechaniker fungierenden Beifahrers vorzuschreiben, hätte die DMG wie manch konkurrierender Hersteller eine einsitzige Rennwagenkarosserie auf das Fahrgestell setzen können. Aus Sicherheitserwägungen entschied man sich jedoch für einen zweisitzigen Aufbau, der zwar sehr niedrig, aber eben weniger schlank ausfiel und ein spitz auslaufendes Bootsheck aufwies. Vermutlich um die Windschlüpfigkeit auf dem Hochgeschwindigkeitskurs von Indianapolis zu verbessern, unternahm man im Vorfeld auch Versuche mit aufgesetzten Scheiben, mit denen die Drahtspeichenfelgen abgedeckt waren, die dann aber doch nicht zum Einsatz kamen.

Die Resultate, die das Mercedes-Team bei dem am 30. Mai 1923 ausgetragenen Rennen erzielte, fielen respektabel aus. Angesichts des schwierig zu beherrschenden Wagens, der bei Einsetzen des Roots-Kompressors eine explosionsartige Leistungsentfaltung zeigte, und der ungewohnten Verhältnisse auf der bei widrigem Wetter besonders rutschigen Strecke waren der achte Platz von Max Sailer und Rang 11 von Christian Werner gegen die starke einheimische Konkurrenz durchaus als Erfolg zu werten. Der dritte Mercedes-Werksfahrer, Christian Lautenschlager, war bereits in der 15. von insgesamt 200 zu absolvierenden Runden nach einem Unfall ausgeschieden. Immerhin hatte man im Gesamtklassement Fabrikate wie Duesenberg, Packard sowie als einzigen europäischen Konkurrenten im Starterfeld auch Bugatti hinter sich gelassen.

Bereits kurz nach dem Ende der USA-Expedition gelangen den 2-Liter-Rennwagen auf dem alten Kontinent eindrucksvolle Siege. So entschied Otto Salzer das am 17. Juni 1923 veranstaltete, 6 Kilometer lange Solitude-Bergrennen nahe Stuttgart mit Tagesbestzeit und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 96,9 km/h für sich. Im Gegensatz zu den in Indianaplois eingesetzten, weiß lackierten Fahrzeugen hatte Salzers Siegerwagen eine in Details modifizierte silbern glänzende Karosserie. In dieser Farbgebung, aber nochmals in einzelnen Details modifiziert, wurde der Wagen im April 1924 beim in der Nähe von Prag ausgetragenen Bergrennen Zbraslav-Jíloviště (Königsaal – Jilowischt) von Otto Merz auf den zweiten Platz der Gesamtwertung gefahren. Sieger im Gesamtklassement war erneut Otto Salzer, der mit einer aerodynamisch optimierten Ausführung an den Start gegangen war. Dieser Doppelsieg markierte den letzten Einsatz des Indianapolis-Rennwagens. Nur eine Woche später ging bei der Targa Florio eine grundlegend überarbeitete Ausführung des 2-Liter-Kompressor-Rennwagens an den Start.

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