Mercedes-Benz 12-Zylinder-Rekordwagen W 125, 1938

Mercedes-Benz 12-Zylinder-Rekordwagen W 125, 1938

Nachdem die erste Version des neu aufgebauten 12-Zylinder-Rekordwagens auf Basis des Grand-Prix-Wagens W 125 bei der Premiere der „Rekordwoche“ Ende Oktober 1937 die ihr zugedachten Ziele deutlich verfehlt hatte, ergab sich für Daimler-Benz die unerquickliche Situation, dass sich unter den gegebenen Umständen die nächste Möglichkeit zur Rehabilitierung erst im Herbst 1938 eröffnete – mehr als ein halbes Jahr nach der Internationalen Automobil- und Motorrad-Ausstellung (IAMA), dem wichtigsten Schaufenster der einheimischen Automobilindustrie. Keinesfalls wollte man sich dort als Verlierer präsentieren.

Es gelang Daimler-Benz, die NSKK-Führung auf einen noch vor der IAMA liegenden Termin für die nächste Rekordwoche festzulegen. Schon Ende Januar 1938 wollte man mit einer neuen, stark überarbeiteten Version des W 125 Rekordwagens antreten.
Dessen Antriebsaggregat hatte schon bei der misslungenen Darbietung 1937 keinen Grund zur Klage geboten. Der ab 1935 von Konstrukteur Albert Heeß entworfene, knapp 5,6 Liter große V12-Motor mit der Bezeichnung MD 25 DAB war zwar aufgrund des Festhaltens an der traditionellen Auslegung der Mercedes-Benz Rennmotoren mit Stahlzylindern und aufgeschweißten Stahlblech-Kühlmänteln recht schwer geraten, aber mangelnde Leistung war nicht sein Problem.

Für den neuerlichen Einsatz Ende Januar 1938 erfuhr dasselbe Triebwerk mit der laufenden Nummer 3 nur wenige Modifikationen. Neben einigen kleineren Maßnahmen zur Steigerung der mechanischen Standfestigkeit wurden in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit vor allem Detailverbesserungen an der Gemischversorgung vorgenommen. Diese resultierten nach internen Aufzeichnungen in einer nochmaligen Leistungssteigerung auf etwa 765 PS/563 kW bei gleichgebliebener Nenndrehzahl von 5800/min.

Bei der Rekordwoche 1937 hatte es der optisch harmonischen Vollstromlinien-Karosserie des W 125 Rekordwagens an aerodynamischer Effizienz gemangelt. Grund genug für die verantwortlichen Mitarbeiter von Daimler-Benz, sich in dieser Frage auch externer Sachkunde zu bedienen. So wurden bereits kurz nach der Rekordwoche 1937 die existierenden guten Kontakte zu namhaften Vertretern der deutschen Flugzeugindustrie und der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) aktiviert, um von dort entsprechende Ratschläge einzuholen.

Die Präsentation des im Oktober gescheiterten Wagens führte dazu, dass die Aerodynamikexperten eine Reihe von Unzulänglichkeiten in dessen Karosseriegestaltung identifizierten. Man war sich einig, dass eine rundliche Buggestaltung grundsätzlich nützlich sei, hielt den Wagen aber zwischen den Vorderrädern und im Gesamtkorpus für zu hoch Auch das Heck sollte länger und fließender auslaufen, um mehr Abtrieb zu generieren. Zudem riet man zu einer neuen, eher tropfenförmigen Gestaltung der Cockpitscheibe. Die Fachleute der DVL brachten darüber hinaus den Vorschlag einer Eiskühlung des Zwölfzylinder-Triebwerks ins Gespräch. Bei Rekordfahrten über kurze Distanzen erlaubte dies den Verzicht auf einen klassischen Wasserkühler, der durch seinen Kühlluftbedarf und die erforderlichen Öffnungen stets die aerodynamische Bilanz negativ beeinflusste.

Als die neue Version des W 125 Rekordwagens im Januar 1938 fertiggestellt war, erkannte man auf den ersten Blick, dass sich die Mercedes-Benz Entwickler die Vorschläge der Aerodynamikexperten zu Herzen genommen und eine konsequent aerodynamisch durchgezeichnete Karosserie geschaffen hatten. Der nun deutlich heruntergezogene, am vorderen Ende senkrecht gestaltete Wagenbug produzierte weit höhere Abtriebswerte, die in besserer Fahrstabilität resultierten. Statt der großen Kühlluftöffnung der Vorjahresversion fanden sich nun zwei kleine länglich-runde Löcher, die ausschließlich Ansaugluft zu den Vergasern förderten. Insgesamt hatte man den Karosseriekörper vorne um 80 mm gekürzt, während man ihn im Heck um 500 mm verlängert hatte, um die von den Experten angeregte, nach hinten fließend auslaufende Linienführung zu erreichen. Auch die Cockpitscheibe präsentierte sich vollständig strömungsgünstig gerundet. Auffällig war zudem die leichte Taillierung der Karosserie, die damit weniger Angriffsfläche für den gefürchteten Seitenwind bot.

Der Tag der Wahrheit kam am 28. Januar 1938. Jetzt musste der stark überarbeitete W 125 Rekordwagens seine Tauglichkeit beweisen. Schon bei seiner ersten morgendlichen Probefahrt war Rudolf Caracciola spontan begeistert von der Spurstabilität des Fahrzeugs, und auch der V12-Motor brachte seine volle Leistung. Offenbar bereitete ihm auch die kuppelartige, stark nach hinten gezogene Cockpitscheibe, gegen die er sich bisher gewehrt hatte, keine Sichtprobleme. Als er um 8:00 Uhr die erste Rekordfahrt in Angriff nahm, wurde schnell klar, dass er in neue Geschwindigkeitsdimensionen vorstoßen würde. Im Mittel aus Hin- und Rückfahrt, der vom Reglement vorgeschriebenen Messart, erreichte Caracciola sensationelle 432,692 km/h über den Kilometer und 432,361 km/h über die Meile, jeweils mit fliegendem Start. Als absolute Höchstgeschwindigkeit wurden dabei auf der Rückfahrt 437 km/h notiert.

Die Auto Union versuchte noch am gleichen Tag, diesen neuen Mercedes-Benz Rekord zu brechen. Doch Bernd Rosemeyer, der erfolgreichste Rennfahrer des Konkurrenzunternehmens, verunglückte dabei tödlich. Sein Fahrzeug wurde in voller Fahrt von einer Windböe erfasst und von der Fahrbahn gedrängt.

Fast acht Jahrzehnte lang blieb dieser von Caracciola erzielte Geschwindigkeitsrekord auf einer öffentlichen Straße bestehen. Erst am 4. November 2017 wurde die Rekordmarke um rund 8 km/h übertroffen und auf 445,54 km/h verschoben. Das Fahrzeug hatte dabei fast die doppelte Motorleistung. Damit ist der Mercedes-Benz W 125 Rekordwagen bis heute auch ein Musterbeispiel für Effizienz. Nicht nur diese legendären Weltrekorde, sondern auch Jahrzehnte später durchgeführte Messungen in einem modernen Windkanal lieferten den Beweis, dass die unter höchstem Zeitdruck durchgeführte Entwicklungsarbeit ein voller Erfolg gewesen war. Die neu gezeichnete Karosserie des 12-Zylinder-Rekordwagens von 1938 wies nach neuesten Messmethoden einen selbst für heutige Begriffe eindrucksvollen Luftwiderstandsbeiwert von lediglich cW = 0,157 auf.

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