Mercedes-Benz 3-l-Zylinder-Rekordwagen W 154 mit Vollstromlinienkarosserie, 1939

Mercedes-Benz 3-l-Zylinder-Rekordwagen W 154 mit Vollstromlinienkarosserie, 1939

Nach dem tragischen Tod von Bernd Rosemeyer bei der Rekordwoche im Januar 1938 und der darauf folgenden Beendigung der Rekordfahrten seitens der Auto Union, wandte man sich bei Daimler-Benz für das Folgejahr der kleineren Klasse D (Fahrzeuge mit Motoren von 2 bis 3 Liter Hubraum) zu. Hier hatte man neben den Rekorden mit stehendem Start auch wieder jene mit fliegendem Start im Blick.

Während man für Erstere als technische Basis den aktuellen Formel-Rennwagen, in diesem Fall den W 154, verwendete und mit einer aerodynamisch entsprechend geformten Karosserie mit freistehenden Rädern ausrüstete, setzte man für die wesentlich höheren Geschwindigkeiten, die mit fliegendem Start erreicht wurden, erneut den im Jahr zuvor so erfolgreichen W 125 Rekordwagen ein.

Statt des Kompressor-aufgeladenen V12-Triebwerks MD 25 DAB mit 5,6 Liter Hubraum wurde in das Chassis des mit einer Vollstromlinienkarosserie versehenen Fahrzeugs jedoch der im W 154 verwendete, ebenfalls zwangsbeatmete 3-Liter-V12 mit der Bezeichnung M 154 eingebaut. Dieser Motor stellte ein ideales Antriebsaggregat für die Rekordjagd in der Klasse D dar.

Die Motorenkonstrukteure um Albert Heeß hatten sich bei der Konzipierung des Triebwerks, das der ab 1938 gültigen Hubraumformel entsprach, zum größten Teil von den traditionellen Rezepten des Rennmotorenbaus bei Daimler-Benz leiten lassen. So hatte man wieder auf die hoch belastbare, aber auch schwergewichtige Auslegung zurückgegriffen, bei der die Zylinder mit dem Zylinderkopf zu einer Einheit verschweißt waren und über aufgeschweißte Kühlmantel aus Stahlblech verfügten. Der Zylinderbankwinkel des neuen Aggregats betrug schwingungstechnisch ideale 60 Grad, wobei die zwölf Zylinder pro Bank zu je zwei Dreiereinheiten aufgeteilt waren – auch dies eine klassische Lösung bei Mercedes-Benz Rennmotoren.

Den Gaswechsel des mit einem Bohrung-/Hub-Verhältnis von 67 mm x 70 mm nur knapp unterquadratisch ausgelegten V12 besorgten je zwei Quecksilber-gekühlte Einlass- und Auslassventile mit einem Tellerdurchmesser von 30 mm. Sie wurden über Kipphebel von zwei per Stirnradkaskade angetriebenen oben liegenden Nockenwellen pro Zylinderbank betätigt. Gezündet wurde das Verbrennungsgemisch über eine zentral im Zylinderkopf positionierte Zündkerze.

Im Bereich der Gemischaufbereitung hatte man zunächst die Hoffnung gehabt, zeitnah die direkte Benzineinspritzung einsetzen zu können, die bei Mercedes-Benz bereits 1937 den Weg in den Serien-Flugmotorenbau gefunden hatte, für den Einsatz in Automobilmotoren allerdings noch nicht ausgereift war. Aus Zeitgründen orientierte man sich schließlich doch am erfolgreichen Reihenachtzylinder M 125, bei dem man die leistungssteigernden Eigenschaften eines Saugvergasers gegenüber einem Druckvergaser klar erkannt und entsprechend genutzt hatte. Im neuen M 154 kam deshalb ein den beiden Kompressoren vorgeschalteter Saug-Doppelvergaser samt zusätzlichem Schiebervergaser zum Einsatz. Die beiden senkrecht stehenden Roots-Gebläse selbst fielen aufgrund des geringeren Hubvolumens deutlich kleiner aus als bei den Vorgängertriebwerken.

Die ausgefeilte Technik des neuen 3-Liter-V12 resultierte in einer spezifischen Leistung, die in neue Dimensionen führte. Hatten die bisherigen Reihenachtzylinder Literleistungen von um die 100 PS/74 kW vorzuweisen, betrugen diese beim neu konstruierten Motor um die 160 PS/118 kW. Das im neuen Rekordwagen verwendete Triebwerk stellte ein Leistungsvolumen von ca. 465 PS/342 kW bei einer Nenndrehzahl von 8000/min bereit. Dabei profitierte dieser Motor nicht einmal vom Übergang zu einem einzelnen Zweistufen-Kompressor, wie er bei den Formel-Rennwagen in der Grand-Prix-Saison 1939 mit Erfolg vollzogen wurde. Mittels dieser tiefgreifenden Modifikation hätte die Maximalleistung des M 154 um weitere rund 20 PS/15 kW gesteigert werden können.

Die konsequent aerodynamisch durchgezeichnete Karosserie des erfolgreichen Rekordwagens vom Januar 1938 zeichnete sich durch einen deutlich heruntergezogenen, am vorderen Ende senkrecht gestalteten Wagenbug aus, der vergleichsweise hohe Abtriebswerte produzierte und für eine ausgezeichnete Fahrstabilität sorgte. Wegen der nach wie vor eingesetzten Eiskühlung fanden sich dort statt eines großen Kühllufteinlasses zwei kleine länglich-runde Löcher, die ausschließlich Ansaugluft zu den Vergasern förderten. Die effiziente Stromlinienform des Karosseriekörpers tasteten die Techniker nicht an. Kleinere Modifikationen gab es nur unter der Außenhaut, etwa eine Anpassung des Rahmens an den kompakteren und leichteren 3-Liter-Motor, der Einbau des dazu passenden Getriebes samt Hinterachse, die Verwendung von vorderen Fahrwerksfedern mit neuer Kennung sowie der Einbau einer Vorderradbremse. Damit die gewaltige Kraft des 3-Liter-V12-Triebwerks beim Start optimal auf die Fahrbahn übertragen wurde, kam an der Hinterachse ein Differenzial mit 100%iger Sperrwirkung zum Einbau.

1939 hatten die Rekordfahrten einen anderen Charakter als in den Vorjahren. Mit dem Rückzug der Auto Union endete für Daimler-Benz als verbliebenem Akteur eine Phase höchster Wettbewerbsintensität, da die Rekordwoche als institutionalisierter Zweikampf der beiden deutschen Automobilhersteller obsolet geworden war. Gleichwohl ließen sich die Untertürkheimer nicht beirren und traten bereits am 8. Februar 1939 mit zwei neuen W 154 Rekordwagen an, dem mit freistehenden Rädern für neue Bestmarken mit stehendem Start und dem mit Vollstromlinienkarosserie für solche mit fliegendem Start.

Ort des Geschehens war nicht mehr wie in den Vorjahren die Autobahn Frankfurt – Darmstadt, sondern ein fast 10 Kilometer langer, zwischen Dessau und Bitterfeld gelegener Abschnitt der Autobahn Leipzig – Berlin. Da man den eigentlich zwischen den beiden Fahrtrassen liegenden Grünstreifen mit Blick auf die Rekordfahrten ebenfalls betoniert hatte, ergab sich – im Prinzip – eine 27 Meter breite Piste. Aus naheliegenden Gründen zog es der stets mit Übersicht agierende Rudolf Caracciola dennoch vor, bei seinen Versuchen jeweils eine der eigentlichen Fahrbahnen zu benutzen.

Nachdem der erfahrene Rheinländer in der Klasse D sowohl über den Kilometer wie über die Meile mit stehendem Start neue Rekorde aufgestellt hatte, wandte er sich denselben Distanzen mit fliegendem Start zu. Am nächsten Tag, dem 9. Februar 1939, setzte er auf dem W 154 mit Vollstromlinienkarosserie ebenfalls zwei neue Bestmarken: Den fliegenden Kilometer legte er im Durchschnitt aus Hin- und Rückfahrt mit 398,23 km/h und die fliegende Meile mit 399,56 km/h zurück. Die absolute Höchstgeschwindigkeit in einer Richtung betrug 400,112 km/h.

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