Mercedes-Benz 12-Zylinder-Rekordwagen W 25, 1936

Mercedes-Benz 12-Zylinder-Rekordwagen W 25, 1936

Das 1934 zwischen der Auto Union und Daimler-Benz ausgeführte erste Fernduell um neue Geschwindigkeitsrekorde für Landfahrzeuge, bei dem auch die Untertürkheimer einige neue Bestmarken aufgestellt hatten, setzte während der nächsten Jahre eine ungeahnte Wettbewerbsdynamik in Gang, die die an publizitätsträchtigen Aktivitäten stets interessierten nationalsozialistischen Machthaber wohlwollend zur Kenntnis nahmen.

Bei Daimler-Benz ging man das Thema jedoch zunächst verhalten an. Der W 25 Rekordwagen vom Spätherbst 1934 war nichts anderes als ein aerodynamisch leicht modifizierter Grand-Prix-Rennwagen der 750-kg-Formel. 1935 überließ man das Feld der Rekordfahrten gänzlich den hochmotivierten Konkurrenten aus Zwickau, und auch im Frühjahr 1936 verfolgte man nur aus der Distanz, welche neuen Bestmarken Hans Stuck mit dem inzwischen deutlich leistungsstärkeren V16-Mittelmotorwagen erzielte. Erst nachdem man die wegen unterlegenen Wagenmaterials so unerfreulich verlaufene Grand-Prix-Saison vorzeitig beendet hatte, holte man bei den Rekordfahrten zum Gegenschlag aus.

Die Messlatte für neue Bestmarken lag inzwischen so hoch, dass mit leicht modifizierten Grand-Prix-Fahrzeugen nicht mehr viel auszurichten war. Obwohl das Fahrgestell des W 25 als Basis nach wie vor geeignet war, mussten sowohl mit Blick auf die aerodynamische Qualität der Karosserie wie hinsichtlich der Motorleistung neue Wege gegangen werden. Der bis dahin im 750-kg-Formel-Rennwagen eingesetzte Kompressor-aufgeladene Reihenachtzylinder der Evolutionsstufe ME 25 war mit 494 PS/363 kW aus 4,7 Liter Hubraum leistungsmäßig schlichtweg ausgereizt.

Zum Glück gab es eine vielversprechende Alternative: den ab Anfang 1935 von Konstrukteur Albert Heeß entworfenen Zwölfzylindermotor mit der Bezeichnung MD 25 DAB. Das Triebwerk hätte ursprünglich die Nachfolge des Reihenachtzylinders antreten und in einem 750-kg-Formel-Rennwagen für überlegenen Vortrieb sorgen sollen. Doch geriet der sehr kompakt bauende V12 mit 5,6 Liter Hubraum, der über zwei Roots-Gebläse verfügte, mit einem Gewicht von fast 295 kg zu schwer, um mit ihm das vom Grand-Prix-Reglement vorgegebene 750-kg-Limit einhalten zu können.

Hauptgrund war das Festhalten an der traditionellen Auslegung der Mercedes-Benz Rennmotoren mit Stahlzylindern und aufgeschweißten Stahlblech-Kühlmänteln. Die Zylinder selbst waren pro Bank zu je zwei Dreiereinheiten aufgeteilt und mit den Zylinderköpfen zu einer Einheit verschweißt. Die Maße für Bohrung und Hub von 82 x 88 mm entsprachen wie auch die komplette Gestaltung der Zylinderköpfe dem M 25 AB, der nie in Rennen eingesetzten ersten Evolutionsstufe des Reihenachtzylinders M 25. Der mit zwei mal zwei oben liegenden Nockenwellen und vier Ventilen pro Zylinder ausgestattete V12 wies einen Zylinderbankwinkel von 60 Grad und eine interessante konstruktive Eigenheit auf: Durch die Verwendung von Gabelpleueln lagen die beiden Zylinderbänke nicht, wie eigentlich üblich, leicht versetzt, sondern parallel einander gegenüber. Durch diesen Kunstgriff sparte Heeß einige Zentimeter an Baulänge.

Hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit ließ der Zwölfzylinder keine Wünsche offen. Bei Erprobungen auf dem Motorenprüfstand und unter Verwendung von je einem Roots-Gebläse mit jeweils einem hermetisch abgedichteten Druckvergaser pro Zylinderbank gab das drehfreudige, nur leicht langhubig ausgelegte Triebwerk – zumindest vor den anberaumten Rekordfahrten – laut Werksunterlagen eine Höchstleistung von 616 PS/453 kW bei 5800/min ab.

Um die anvisierten Geschwindigkeiten im Bereich um 350 km/h zu erreichen, war neben der reinen Motorleistung auch eine gezielte aerodynamische Durchbildung des Karosseriekörpers erforderlich. Man wandte sich deshalb an die in Fragen der Aerodynamik erfahrenen Fachleute des Luftschiffbaus Zeppelin in Friedrichshafen und erkannte, dass ein vollverkleideter, die Räder umschließender Karosserieaufbau unbedingt erforderlich war, um bestmögliche Windschlüpfigkeit zu erreichen. Die glattflächige, im Heck flach und spitz auslaufende Karosserie mit einer minimalen Cockpitöffnung, die in der Folge in Untertürkheim entstand, wies zwar einen sensationellen Luftwiderstandsbeiwert von cW = 0,235 auf, war aber mit zwei Problemen behaftet, die dringend gelöst werden mussten. Zum einen bot die niedrige Silhouette des Aufbaus nicht genug Platz, um die bis zu 22 Zoll großen Hinterräder vollständig abzudecken, zum anderen ergaben Windkanaltests in Friedrichshafen, dass die Formgebung der Karosserie an der Vorderachse massiven Auftrieb produzierte.

Beide Mängel schaffte man mit handfesten Lösungen aus der Welt. Der über die Karosseriekontur hinausragende Teil der Hinterräder wurde jeweils mit einer sich leidlich in die Linienführung einfügenden Zusatzverkleidung abgedeckt, während man den Auftriebskräften, die mit einem gemessenen Wert von 217 kg die Fahrstabilität bei höchsten Geschwindigkeiten massiv gefährdeten, mit der Anbringung von Bleigewichten an der Vorderachse begegnete.

Manche Details der Karosseriespezifikation machten die Konstrukteure zum Gegenstand praktischer Erprobung am Einsatztag. So gab es verschiedene Varianten der Cockpitscheibe, und es bestand die Wahl zwischen offenen und vollverkleideten Radläufen, zwischen Drahtspeichenrädern mit und ohne Abdeckung durch eine Aluminiumscheibe und zwischen über die Karosseriesilhouette hinaus offen laufenden oder vollständig abgedeckten Hinterrädern.

Auf den 26. und 27. Oktober 1936 waren die Rekordversuche terminiert, bei denen sich beweisen musste, ob sich der inzwischen getriebene hohe Aufwand in öffentlichkeitswirksame Resultate ummünzen ließ. Ort des Geschehens war ein neu errichteter Autobahnabschnitt zwischen Frankfurt und Darmstadt, der für die Rekordfahrten in Richtung Frankfurt gesperrt worden war. Als Fahrer war Rudolf Caracciola vorgesehen, der sich gerade auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn befand – kein Hasardeur, sondern ein stets besonnener und mit viel Fingerspitzengefühl sowie ausgeprägtem Risikobewusstsein ausgestatteter Pilot.

Der Tag begann früh und mit unerwarteten Problemen. Bei der Aufwärmfahrt um 7:00 Uhr sprang bei hohem Tempo der 4. Gang heraus und führte zu einem kurzzeitigen Überdrehen des V12-Triebwerks, das von diesem Zeitpunkt an nicht mehr über die volle Leistung verfügte. Doch Caracciola und die Einsatzmannschaft ließen sich nicht beirren. Langsam tastete sich der Remagener in mehreren Läufen, trotz des latent Probleme machenden Getriebes, an immer höhere Geschwindigkeiten heran. Im fünften Lauf, der um 9:00 Uhr startete, war die optimale Fahrzeugkonfiguration gefunden. Mit vollverkleideten hinteren Radläufen und der Zusatzabdeckung für die nun 22 Zoll messenden Hinterräder, deren Speichen ebenfalls verkleidet waren, gelangen Caracciola trotz nicht optimaler äußerer Bedingungen – es kam zunehmend Wind auf – zwei neue internationale Rekorde in der Klasse B (Fahrzeuge mit Motoren von 5 bis 8 Liter Hubraum). Die neuen Bestmarken betrugen 364,372 km/h über einen Kilometer und 366,918 km/h über eine Meile, beides mit fliegendem Start. Als absolute Höchstgeschwindigkeit standen 372,102 km/h zu Buche, doch wurde reglementgemäß nur der Mittelwert aus Hin- und Rückfahrt als Bestmarke herangezogen.

Im sechsten und letzten Lauf des Tages setzte Caracciola noch einen Glanzpunkt. Über 5 Kilometer mit fliegendem Start pulverisierte er geradezu den bestehenden Rekord von Hans Stuck, der sieben Monate zuvor auf Auto Union einen Wert von 312,419 km/h erreicht hatte. Caracciola schraubte den neuen Bestwert auf 340,523 km/h. Danach wurden die Fahrten wegen zu starken Windes abgebrochen und auch am darauffolgenden Tag nicht wieder aufgenommen.

Stattdessen folgte knapp zwei Wochen später, am 11. November 1936, an selber Stelle die Fortsetzung. Inzwischen verfügte das V12-Triebwerk wieder über volle Leistung, und auch am zum Herausspringen neigenden 4. Gang des Getriebes war gearbeitet worden. Ins Visier genommen wurden diesmal die Rekorde über 5 Meilen, 10 Kilometer und 10 Meilen, jeweils mit fliegendem Start. Wegen der längeren Distanzen wurde der zu befahrende Autobahnabschnitt auf 38 km ausgedehnt. 

Wieder war es der fünfte Lauf des Tages, der neue Rekorde brachte. Über 5 Meilen erzielte Caracciola 336,838 km/h, über 10 Kilometer 331,889 km/h und über 10 Meilen 333,489 km/h. Während die beiden ersten Werte neue Klassenrekorde darstellten, war der dritte sogar ein Weltrekord. Die alten, von Hans Stuck auf Auto Union im März desselben Jahres aufgestellten Bestmarken lauteten 291,035 km/h, 288,612 km/h und 286,451 km/h. Mit dem 12-Zylinder-Rekordwagen war Caracciola buchstäblich in neue Geschwindigkeitsdimensionen vorgerückt – und das war längst noch nicht das Ende der Geschichte.

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