Mercedes-Benz Grand-Prix-Rennwagen W 154, 1939

Mercedes-Benz Grand-Prix-Rennwagen W 154, 1939

Nach der fast totalen Dominanz des W 154 in der Rennsaison 1938, die Rudolf Caracciola seinen dritten Europameistertitel gebracht hatte, galt es, auch 1939 die Szenerie der Grand-Prix-Rennen im Zweikampf mit den zum Saisonende sichtbar erstarkten Auto Union Typ D zu beherrschen. Noch warf der spätere Kriegsausbruch keinen Schatten auf die technische Weiterentwicklung des W 154, Versuche mit einer anderen Kompressortechnologie liefen sogar noch bis ins Frühjahr 1940.

Überhaupt stand für die Rennen des Jahres 1939 die Einlassseite des bewährten V12-Triebwerks im Fokus der Konstrukteure. Primär sah man bei der Aufladung des Verbrennungsgemischs weitere Potenziale zur Leistungssteigerung. Ausgehend von der Erkenntnis, dass ein einzelner, zweistufig ausgelegter Kompressor eine erheblich geringere Antriebsleistung erfordert als zwei einstufige, entwickelte man in Untertürkheim eine solche Lösung zusammen mit einem neuen vorgeschalteten Doppelvergaser.

Der durch den Wegfall des zweiten Kompressors bedingte bessere Wirkungsgrad des Zweistufen-Gebläses resultierte zum einen in einer erhöhten Spitzenleistung, die je nach Motorexemplar und Drehzahlbereich um 5 bis 15 % zulegte und eine Spanne von 450 PS/331 kW bis 483 PS/355 kW bei 7500 bis 7800/min umfasste. Zum anderen verlief die Drehmomentkurve flacher, die Leistung stand also über ein breiteres Drehzahlband zur Verfügung. Hinzu kam, dass das Drehzahlniveau insgesamt etwas reduziert war, was der Zuverlässigkeit des Motors M 154 zugutekam. Kurbelwellen- und vor allem Pleuellager des 3-Liter-V12 reagierten empfindlich, sobald die obere Drehzahlgrenze von etwa 8000/min erreicht oder gar überschritten wurde.

Der Zweistufen-Kompressor bestand aus einem großen und einem kleineren Roots-Gebläse, die leicht versetzt hintereinander angeordnet und durch ein Flachrohr miteinander verbunden waren. Neu war auch die Einbauposition des Einzelkompressors: Er lag nun waagerecht vor dem vorderen Motorende. Die beiden zuvor verwendeten Kompressoren waren dagegen jeweils stehend, aber leicht geneigt vor den Zylinderbänken platziert gewesen.

Erstmalig eingesetzt wurde ein mit Zweistufen-Kompressor ausgerüsteter M 154 in den Einsatzfahrzeugen von Hermann Lang und Hans-Hugo Hartmann – einem Nachwuchstalent der Mercedes-Benz Rennmannschaft – beim Eifelrennen auf dem Nürburgring. Das am 21. Mai 1939 veranstaltete Rennen zeigte die Überlegenheit des neuen Konzepts und endete prompt mit einem Sieg Langs vor Tazio Nuvolari auf dem Auto Union Typ D und zwei weiteren, noch mit zwei Einzelkompressoren ausgestatteten W 154 von Caracciola und von Brauchitsch.

Im Kampf um die erfolgreiche Titelverteidigung in der Europameisterschaft mochten sich die Verantwortlichen nicht allein auf das – wenn auch leistungsgesteigerte – Triebwerk von 1938 verlassen. Man forcierte deshalb die Entwicklung einer neuen Evolutionsstufe des 3-Liter-V12, die zwar keine tiefgreifende technische Neuerung bot, aber gewisse konstruktive Schwächen des Aggregats beseitigte. Der gründlich überarbeitete Motor erhielt sogar die neue Konstruktionsbezeichnung M 163.

Er profitierte von einem breiteren Kurbelgehäuse, das mehr Stabilität brachte, war aber vor allem durch zahlreiche Detailmodifikationen gekennzeichnet, die einer besseren Öldichtigkeit dienten. Bislang hatten die hohen im Motorinneren auftretenden Drücke dazu geführt, dass größere Mengen Schmierstoff nach außen gedrungen waren, was zu teils astronomischen Ölverbräuchen geführt hatte. Um dieses Problem zu lösen, wurden die Befestigungen der Ventildeckel und Steuergehäuse sowie der Ölwanne abgeändert. Zugleich wurde eine bisher vorhandene Welle, die den Antrieb einer direkten Benzineinspritzung hätte besorgen sollen, entfernt – die revolutionäre Innovation war für den Rennbetrieb vorerst noch nicht einsatzreif.

Ihre Einsatzpremiere im W 154, dessen Bezeichnung unverändert geblieben war, feierte die neue Motorversion anlässlich des Großen Preises von Belgien, der am 25. Juni 1939 auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke von Spa-Francorchamps ausgetragen wurde. Hermann Lang, dessen Wagen mit einem M 154 ausgerüstet war, holte sich gleichwohl den Sieg vor Hasse auf Auto Union und von Brauchitsch, dessen W 154 über das weiterentwickelte Triebwerk verfügte. Tragisch endete das Rennen für Richard „Dick“ Seaman, den zweiten Mercedes-Benz Piloten, dessen Wagen mit einem M 163 an den Start gerollt war. In Führung liegend erlitt er in Runde 22 einen schweren Unfall, dessen Folgen er in der Nacht nach dem Rennen erlag.

Mit Blick auf die Höchstleistung waren die modifizierten M 163 Triebwerke den M 154 mit Zweistufen-Kompressor keineswegs überlegen. Dokumentiert sind je nach Motor Spitzenwerte im Bereich zwischen 417 PS/307 kW und 477 PS/351 kW bei jeweils 7500/min.

Die Weiterentwicklung des W 154 für die Rennsaison 1939 beschränkte sich jedoch nicht nur auf die Motoren. Auch in den Bereichen Chassis, Fahrwerk und Aerodynamik wurden gezielt Verbesserungen vorgenommen. Durch den Einsatz leichtgewichtiger Materialien vor allem am Fahrgestell gelang es, das Fahrzeuggewicht entsprechend der im Reglement definierten Wiegeprozedur ohne Betriebsstoffe, Kühlmittel und Fahrer auf 859 kg zu reduzieren und damit in die Nähe des vom Reglement festgelegten Mindestgewichts von 850 kg zu rücken. Der W 154 der Vorsaison hatte unter den gleichen Bedingungen noch 981 kg auf die Waage gebracht.

Auch für das komplexe Thema der Tankspezifikation wurde eine einheitliche Lösung gefunden, die das Fahrverhalten auch bei abnehmendem Tankinhalt kaum mehr beeinflusste. Man entschied sich für ein Gesamtvolumen von 420 Litern, von denen 235 Liter auf den im Vorjahr etablierten Satteltank entfielen, der sich zwischen dem hinteren Motorende und dem Fahrer befand, und die restlichen 185 Liter auf den Hecktank. Die entscheidende Neuerung war aber, dass sich beide Tanks nun nicht mehr nacheinander, sondern synchron leerten – damit gehörten vom jeweiligen Füllstand abhängige Fahreigenschaften, über die manche Fahrer des W 154 in der Vorsaison geklagt hatten, im Wesentlichen der Vergangenheit an.

Die neu dimensionierten Kraftstoffbehälter mit kleinerem Hecktank waren einer der Gründe, warum sich auch das äußere Erscheinungsbild des W 154 der Saison 1939 sichtlich von dem der Vorjahresversion unterschied. Ein zweiter war ein verändertes Kühlerarrangement. Umfangreiche Untersuchungen hatten ergeben, dass die Positionierung des kombinierten Wasser-/Ölkühlers weder eine aerodynamisch effiziente Durchströmung noch eine schnelle Hitzeabfuhr zuließ. So kam es zu einer weiter nach vorne gerückten Einbauposition, die an der Fahrzeugfront für eine rundlichere Form mit höher verlaufendem Karosserieprofil sorgte. Insgesamt erschien der Grand-Prix-Wagen gedrungener und nicht ganz so flach und geradezu elegant wie zuvor.

Eine wesentliche Verbesserung erfuhr darüber hinaus die Bremsanlage durch die Einführung der innovativen sogenannten Turbobremse. Deren auf der Bremstrommelaußenseite sowohl radial wie axial angeordneten Kühlrippen bewirkten eine besonders schnelle und effiziente Wärmeabfuhr, wodurch die Dauerbelastbarkeit der gesamten Bremsanlage deutlich erhöht wurde.

Die Motorsportsaison 1939 insgesamt, darunter auch die Rennen zur Grand-Prix-Europameisterschaft, litt stark unter der sich dramatisch zuspitzenden weltpolitischen Situation. Wurde vor Saisonbeginn von der Association Internationale des Automobile Clubs Reconnus (AIACR) - dem Automobil-Dachverband, der zugleich die internationale Motorsporthoheit innehatte - wie in den Vorjahren noch die vier Grand-Prix-Rennen umfassende Europameisterschaft ausgeschrieben, so kam es ab August, im unmittelbaren Vorfeld des Kriegsausbruchs, zu einer Fülle von Rennabsagen, darunter der Große Preis von Italien, der Masaryk Grand Prix und der Donington Grand Prix.

Zwar waren die vier zur Europameisterschaft zählenden Rennen, die Großen Preise von Belgien, Frankreich, Deutschland und der Schweiz, nicht betroffen, doch wurde die Punktetabelle von der AIACR, die unter den gegebenen Umständen im Lauf des Jahres ihre Arbeit einstellte, nicht zu Ende geführt. Infolgedessen wurde auch kein Europameister offiziell gekürt. Stattdessen bedachten die Vertreter des Naziregimes in eigener Machtvollkommenheit Hermann Lang mit einem Europameistertitel von eigenen Gnaden. Der Schwabe hatte zwar bei den vier Läufen der Europameisterschaft nicht den höchsten Punktestand nach dem bislang praktizierten System erreicht, war aber über die gesamte Saison der insgesamt erfolgreichste Fahrer. Ein neues Punktesystem, nicht unähnlich dem in der späteren Automobil-Weltmeisterschaft verwendeten Modell, hätte Hermann Lang in Führung gesehen, wurde aber nicht eingeführt – so wie am Ende überhaupt keine offizielle Punktetabelle vom AIACR veröffentlich wurde.

Die Einsatzpläne der Mercedes-Benz Rennmannschaft sahen neben Starts bei den vier Meisterschaftsrennen in Spa-Francorchamps, Reims, auf dem Nürburgring und dem Bremgarten-Kurs zu Beginn der Saison auch die Teilnahme am Grand Prix de Pau und am Eifelrennen vor. Den Saisonabschluss bildete am 3. September das Belgrader Stadtrennen, das trotz des zwei Tage zuvor entfachten Krieges ausgetragen wurde.

Neben der Grand-Prix-Version des W 154 kam 1939 auch eine speziell für Bergrennen entwickelte Variante zum Einsatz, die beim Wiener Höhenstraßenrennen im Juni und beim Großen Bergpreis auf den Großglockner im August zur Verfügung stand. Sie verhalf Hermann Lang zum Sieg beim Wiener Höhenstraßenrennen, am Großglockner ging stattdessen jedoch der stärkere W 125 an den Start.

Wie im Jahr zuvor bildete das auf einem engen Stadtkurs veranstaltete Rennen im französischen Pyrenäenstädtchen Pau den Auftakt der Grand-Prix-Saison. Die Untertürkheimer Rennmannschaft rollte mit drei W 154 für Caracciola, von Brauchitsch und Lang fast in voller Besetzung an den Start, während der schärfste Widersacher, die Auto Union mit ihren Mittelmotorwagen Typ D, dieses bereits am 2. April stattfindende Rennen ausließ.

Das Resultat des über 100 Runden führenden Grand Prix de Pau spiegelte die Kräfteverhältnisse im Starterfeld mit aller Deutlichkeit wider. Mit einem Vorsprung von zwei Runden auf den drittplatzierten Talbot holten Hermann Lang und Manfred von Brauchitsch einen mehr als überlegenen Doppelsieg für Mercedes-Benz. Dabei erlaubten es weder der winklige Kurs noch die wie bisher mit zwei Einstufen-Kompressoren ausgerüsteten W 154, einen Eindruck vom wahren Leistungsvermögen des für die aktuelle Saison weiterentwickelten 3-Liter-Formel-Rennwagens zu gewinnen.

Das sieben Wochen später, am 21. Mai 1939, auf dem Nürburgring ausgetragene Eifelrennen geriet zu einer ersten, fast schon beschämenden Demonstration der Vorherrschaft beider deutschen Rennmannschaften. Neun der insgesamt 13 in der Startaufstellung platzierten Fahrzeuge gehörten den Werksteams von Mercedes-Benz und der Auto Union an.

Nach 10 Runden überquerte Hermann Lang als Sieger die Ziellinie. Mit einem Abstand von rund 11 Sekunden folgte Tazio Nuvolari auf dem Auto Union Typ D als Zweitplatzierter. Die Ränge drei und vier belegten Caracciola und von Brauchitsch. Richard „Dick“ Seaman hatte seinen W 154 nach einem missglückten Start mit verbrannter Kupplung abstellen müssen.

Als nächstes Rennen und erster Meisterschaftslauf stand am 25. Juni der Große Preis von Belgien in Spa-Francorchamps auf dem Programm. Das bei strömendem Regen gestartete Rennen konnte erneut Hermann Lang für sich entscheiden, der mit seinem W 154 gegen den Auto Union von Rudolf Hasse sowie seinen Teamkollegen von Brauchitsch die Oberhand behielt. Das V12-Triebwerk von Langs Rennwagen war erstmals mit einem einzelnen Zweistufen-Kompressor ausgerüstet. Überschattet wurde das Rennen von Seamans schwerem Unfall, an dessen Folgen der Brite in der Nacht darauf verstarb.

Langs Erfolgsserie und die der ganzen Mercedes-Benz Rennmannschaft nahm beim nächsten zur Europameisterschaft zählenden Großen Preis, dem am 9. Juli ausgetragenen Grand Prix de l‘A.C.F. auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke in Reims, ein jähes Ende. Keiner der drei gestarteten W 154, alle angetrieben von der neuesten Triebwerksversion mit Zweistufen-Kompressor, bewältigte die volle Renndistanz. Während Caracciola nach einem Ausrutscher bereits in der ersten Runde aufgeben musste, rollten zuerst von Brauchitsch und später Lang mit Motorschäden aus. Stattdessen konnten sich die Auto Union-Piloten H. P. Müller und Georg „Schorsch“ Meier, beides ehemalige Motorrad-Koryphäen, mit einem Doppelsieg für die Zwickauer in Szene setzen.

Am 26. Juli folgte mit dem Großen Preis von Deutschland der dritte von vier Europameisterschaftsläufen und eine gemäß den Zeitumständen inszenierte Kundgebung der nationalsozialistischen Machthaber. Nach dem desaströsen Auftritt in Reims stand die Mercedes-Benz Mannschaft unter besonders hohem Druck. Am Ende gelang Rudolf Caracciola eines seiner bravourösen Regenrennen: Mit einem Vorsprung von knapp einer Minute sicherte er sich auf seinem W 154 den Sieg vor H. P. Müller auf Auto Union Typ D. Nachdem die beiden Erstplatzierten die jeweils einzigen im Rennen verbliebenen Starter ihrer Teams gewesen waren, erzielte Paul Pietsch auf einem Maserati 8CTF überraschend Rang drei.

Das letzte zur Grand-Prix-Europameisterschaft zählende Saisonrennen war der am 20. August angesetzte Große Preis der Schweiz auf der besonders bei nassen Verhältnissen risikoreichen Strecke im Berner Bremgartenwald. Die Mercedes-Benz Rennmannschaft war mit vier Wagen vertreten, ebenso die härtesten Konkurrenten, das Team der Auto Union. Der Austragungsmodus des Rennens war insofern ungewöhnlich, als dass zunächst zwei getrennte Qualifikationsläufe für Fahrzeuge der Voiturette-Klasse bis 1500 cm³ Hubraum und für 3-Liter-Grand-Prix-Wagen ausgetragen wurden. Die sechs schnellsten Starter der Voiturette-Klasse und die 11 schnellsten 3-Liter-Wagen bildeten dann gemeinsam das Feld des Entscheidungsrennens.

Das Mercedes-Benz Team mit seinen W 154 ließ auf dem Bremgarten-Kurs keinen Zweifel an seiner Überlegenheit aufkommen. Auf nasser Straße musste Caracciola diesmal Hermann Lang den Vortritt lassen, der in einem bis zum Zieleinlauf ausgefochtenen, harten Duell mit nur rund 3 Sekunden Vorsprung die Oberhand behielt. Manfred von Brauchitsch komplettierte mit Platz drei die überzeugende Vorstellung der Stuttgarter Mannschaft.

Obwohl Deutschland zwei Tage zuvor den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hatte, fand das Belgrader Stadtrennen am 3. September 1939 wie geplant unter Beteiligung beider deutscher Werksmannschaften statt. Allerdings beschränkte sich das Starterfeld auf lediglich fünf Fahrzeuge, zwei Mercedes-Benz W 154, zwei Auto Union Typ D und einen privat eingesetzten Bugatti. Sieger des sportlich obsolet gewordenen Rennens wurde Tazio Nuvolari auf Auto Union vor Manfred von Brauchitsch und dem zweiten Auto Union-Piloten H. P. Müller.

Bereits die Rückkehr des Stuttgarter Renntrosses ins Werk gestaltete sich durch die Kriegssituation außerordentlich schwierig und gelang nur mit Verzögerung über Ausweichrouten. Es heißt, dass die Lastwagen unmittelbar nach dem Eintreffen von der Wehrmacht requiriert wurden. Damit endete für die Daimler-Benz AG eine von großen Erfolgen gekennzeichnete Epoche der Motorsportgeschichte. Erst 15 Jahre später, in der Saison 1954, kehrte Mercedes-Benz auf höchster Ebene in den Grand-Prix-Sport zurück, nachdem man bereits 1952 im neu entwickelten 300 SL erfolgreich an Sportwagenrennen teilgenommen hatte.

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