Mercedes-Benz W 196 R mit Stromlinienkarosserie, 1954

Mercedes-Benz W 196 R mit Stromlinienkarosserie, 1954
Der erste Mercedes-Benz Grand-Prix-Rennwagen nach 1945, Ausführung mit Stromlinienkarosserie

Als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Produktion wieder angelaufen und der Wiederaufbau der zerstörten Werke in vollem Gange war, stand bei Daimler-Benz auch eine erneute Aufnahme der Motorsportaktivitäten auf dem Programm. Mit dem Ziel, an die spektakulären Erfolge der Vorkriegszeit anzuknüpfen, dadurch das Unternehmensimage zu fördern und den Absatz vor allem in den Exportmärkten anzukurbeln, hatte man von Beginn an auch die Topkategorien des Motorsports im Blick. 

Eine Teilnahme an der 1950 eingeführten Automobil-Weltmeisterschaft, wie die Formel-1-WM offiziell genannt wurde, kam allerdings zunächst nicht in Betracht – vor allem deshalb, weil eine Verlängerung der seit 1947 gültigen und bis Ende 1953 angesetzten Grand-Prix-Formel innerhalb und außerhalb der verantwortlichen Motorsportgremien lange kontrovers diskutiert wurde. Kernpunkt der damaligen Rennformel war ein Hubraumlimit von 1,5 Litern für Kompressormotoren und 4,5 Litern für Saugmotoren. 

Der Automobilclub von Deutschland hatte schon für die Sitzung der Commission Sportive Internationale (CSI) im Oktober 1950 den Antrag eingebracht, die bestehende Rennformel bis Ende 1955 zu verlängern. Das Thema wurde jedoch erst auf einer Konferenz am 17. Februar 1951 in Brüssel behandelt, wobei Frankreich und Italien vorschlugen, die aktuell gültige Formel 1 ab 1954 durch eine neue Rennformel zu ersetzen, die an die Stelle der damaligen Formeln 1 und 2 treten sollte. Der neue Vorschlag begrenzte den Hubraum für Saugmotoren auf 2,5 Liter, für Kompressormotoren dagegen auf kaum konkurrenzfähige 750 cm³. 

Da Deutschland in Brüssel noch kein Stimmrecht hatte und nur England für die Beibehaltung der aktuellen Formel plädierte, ergab sich eine Stimmenmehrheit für den Vorschlag der Beendigung der Formel 1 zum festgelegten Zeitpunkt Ende 1953. Die nächste Sitzung der CSI Anfang Oktober 1951 ergab ein noch deutlicheres Bild: Von den neun stimmberechtigten Länderclubs stimmten bei zwei Enthaltungen sechs gegen eine Verlängerung, nur die britischen Vertreter plädierten dafür. Der Weg für die neue Rennformel war damit frei, auch wenn die CSI die endgültige Entscheidung für die neue Formel erst auf ihrer Sitzung im Oktober 1952 verbindlich fällte.

Nachdem Mercedes-Benz im Juli 1951 die Erkenntnis gewonnen hatte, dass der aus der Vorkriegszeit vorhandene 1,5-Liter-Rennwagen W 165 bestenfalls Gleichwertigkeit, nicht aber Überlegenheit ermöglichen würde, fokussierte man sich in Stuttgart für die Saison 1952 zunächst auf Sportwagenrennen, für die der Rennsportwagen 300 SL auf Basis existierender Komponenten aus dem Personenwagenbau entwickelt wurde. Mit dieser Entscheidung bewiesen die Untertürkheimer auch insofern eine glückliche Hand, als die Automobil-Weltmeisterschaft sich nach dem Ende der Saison 1951 in eine unvorhergesehene Richtung entwickelte.

Nachdem Juan Manuel Fangio 1951 mit dem Alfa Romeo Tipo 159 seinen ersten WM-Titel errungen hatte, war für die Verantwortlichen in Mailand nicht zu übersehen, dass ihr 1,5-Liter-Rennwagen seine Leistungsgrenze erreicht hatte und in der Folgesaison wohl nicht mehr konkurrenzfähig sein würde. Vor diesem Hintergrund gab das Mailänder Unternehmen nach dem Ende der Saison überraschend bekannt, sich aus der Weltmeisterschaft zurückzuziehen. 

Um der zu erwartenden absoluten Dominanz des Ferrari Teams zu begegnen und auch kleineren Herstellern eine Beteiligung an der Weltmeisterschaft zu ermöglichen, stellte die CSI den Veranstaltern der zur Automobil-Weltmeisterschaft zählenden Rennen frei, diese auch nach dem Reglement der Formel 2 auszuschreiben. Diese begrenzte den Hubraum für Saugmotoren auf 2 Liter und für Kompressormotoren auf 500 cm³. Diese Maßnahme vergrößerte das Starterfeld erheblich, änderte aber nichts an der Dominanz des Teams aus Maranello: Der neu entwickelte Ferrari 500 mit 2-Liter-Motor verhalf Alberto Ascari 1952 und 1953 zweimal zum Weltmeistertitel; darüber hinaus erzielte er 1952 auch die Plätze 2 bis 4 sowie 1953 Rang 3 bis 5 in der Gesamtwertung.

Nachdem die CSI im Oktober 1952 die ab 1954 geltende 2,5-Liter-Formel verbindlich festgelegt hatte, galt es zunächst abzuwarten, ob sich eine ausreichende Anzahl von Herstellern bereitfinden würde, einen Rennwagen nach der neuen Formel an den Start zu bringen. In Untertürkheim hatte man sich bereits im Oktober 1951 erste Gedanken zu einem 2,5-Liter-Rennwageh gemacht. Entwicklungschef Fritz Nallinger hatte schon damals wichtige Eckpunkte formuliert: So war ein leichter und verwindungssteifer Gitterrohrrahmen ebenso vorgesehen wie eine austauschbare Vorderachskonstruktion, die wahlweise als Variante mit angetriebenen Rädern verwendet werden konnte, so dass bei Bedarf – etwa bei Regenrennen – Vierradantrieb zur Verfügung stand. Die Bremstrommeln sollten für beide Achsen nach innen in die Fahrzeugmitte verlegt werden, um die ungefederten Massen gering zu halten. Für den Motor bot sich zugunsten einer niedrigen Motorhaube und einer entsprechend geringen Stirnfläche ein stark geneigter Einbau an. Bereits in dieser frühen Konzeptionsphase waren zwei verschiedene Karosserievarianten vorgesehen: eine Stromlinienkarosserie und eine klassische Version mit freistehenden Rädern.

Im Januar 1953 traf der Daimler-Benz Vorstand die Entscheidung, die weiterentwickelte Version des 300 SL Rennsportwagens nicht zu bauen und in der neuen Saison dementsprechend von einer Beteiligung an Sportwagenrennen abzusehen. Stattdessen sollte rechtzeitig mit dem Bau eines neuen Rennwagens nach der 2,5-Liter-Formel begonnen werden. Den Beschluss einer Rennpause im Jahr 1953 veröffentlichte das Unternehmen bereits Ende Januar mit einer Presseinformation, und im Mai folgte eine weitere Verlautbarung, in der die Entwicklung eines Grand-Prix-Rennwagens mit 2,5-Liter-Saugmotor angekündigt wurde. Vorerst nicht veröffentlicht wurde die im März getroffene Vorstandsentscheidung, neben dem Grand-Prix-Wagen auch einen Rennsportwagen gleichartiger Konstruktion zu bauen. Beide Fahrzeuge erhielten die interne Bezeichnung W 196 – der Grand-Prix-Rennwagen mit dem Zusatz R und der Rennsportwagen mit dem Suffix S. 

Zum gleichen Zeitpunkt, als der Vorstand diesen Beschluss fasste, konkretisierten sich die Konstruktionsarbeiten durch die Festlegung eines detaillierten Zeitplans, der für Motor, Getriebe und Fahrgestellrahmen die Fertigstellung der Konstruktionszeichnungen terminierte. Die Konzeption folgte im Wesentlichen den bereits im Oktober 1951 erörterten Prinzipien, die Möglichkeit einer bei Bedarf einzusetzenden angetriebenen Vorderachse wurde aber nicht realisiert.

Für den von Grund auf neu konstruierten Motor war die Wahl auf einen kurzhubigen Reihenachtzylinder mit Mittelabgriff gefallen. Mit dieser Kombination aus zwei Vierzylinderblöcken, in deren Mitte die Zahnräder für die Kraftübertragung auf die Hinterräder sowie den Antrieb der Nockenwellen, der Wasserpumpe und der Einspritzpumpe angeordnet waren, wollte man das mitunter problematische Schwingungsverhalten eines klassischen Reihenachtzylinders umgehen.

In seiner Grundkonzeption folgte der M 196 den bei Mercedes-Benz Rennmotoren seit gut 30 Jahren angewendeten Prinzipien, bei denen Stahlzylinder und Zylinderköpfe zu einer Einheit verschweißt und mit aufgeschweißten Wassermänteln versehen waren. Der Motor verfügte über halbkugelförmige Brennräume und nur zwei – allerdings sehr groß dimensionierte – Ventile pro Zylinder, die anstelle der bisher üblichen vier Ventile verbaut waren. Als Besonderheit wurden sie über eine desmodromische Zwangssteuerung – die sogenannte Z-Steuerung – nicht nur geöffnet, sondern auch wieder geschlossen. Dies erlaubte den Verzicht auf störungsanfällige Ventilfedern und damit ein höheres Drehzahlniveau von nahezu 9000/min. Eine weitere Besonderheit war die Gemischaufbereitung, die hier – wie schon beim überarbeiteten 300 SL für die Saison 1953 und beim brandneuen 300 SL Seriensportwagen - mittels direkter Benzineinspritzung erfolgte. Im Gegensatz zum Sportwagenmotor war der M 196 mit zwei Zündkerzen pro Zylinder ausgerüstet, die mangels Batterie über einen Zündmagneten versorgt wurden. Die Kurbelwelle war rollengelagert und als zusammengesetzte Hirth-Kurbelwelle ausgeführt. Die Leistung des neuen Achtzylinders lag bei 257 PS/189 kW bei 8250/min.

Das Getriebe mit fünf Vorwärtsgängen war wie bei den Silberpfeilen der Vorkriegszeit zur Optimierung der Gewichtsverteilung vom Motor getrennt und in Transaxle-Bauart mit dem Differential verblockt. Wie ebenfalls bereits in den 1930er-Jahren praktiziert, kam als Vorderachse eine Doppelquerlenkerachse mit unterschiedlich langen Trapezlenkern zum Einsatz, wobei die Federung jedoch über Drehstäbe erfolgte und zum ersten Mal in einem Mercedes-Benz Silberpfeil mit hydraulischen Teleskopstoßdämpfern kombiniert war. Die Hinterachse war als Eingelenk-Pendelachse mit tiefliegendem Drehpunkt ausgeführt, wie sie in ähnlicher Form bereits der weiterentwickelte 300 SL Rennsportwagen und der neue Pkw-Typ 220 aufwiesen. Im W 196 war die Achskonstruktion mit einer Ausgleicheinrichtung versehen, die die Drehstabfedern bei sich leerendem Kraftstofftank so verstellte, dass der negative Radsturz konstant blieb.

Als der W 196 R Mitte Februar 1954 zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wurde, war er eine wahrhaft außergewöhnliche Erscheinung. Dies lag vor allem an seiner Stromlinienkarosserie, die insbesondere im Hinblick auf sehr schnell zu fahrende Rennstrecken entwickelt wurde. Bei der Premiere verfügte der Stromlinienwagen weder über eine Windschutzscheibe noch die im Rennsport so wichtigen Außenspiegel. Dafür zierte ein großer verchromter Mercedes-Stern den Kühllufteinlass im Wagenbug. Bis zu seinem Renndebüt, das am 4. Juli 1954 beim vierten Saisonrennen – dem Großen Preis von Frankreich in Reims – stattfand, wurde der Stern wieder entfernt, während Windschutzscheibe und Außenspiegel hinzugekommen waren.

Am 4. Juli 1954 erzielte der W 196 Stromlinienrennwagen einen beeindruckenden Doppelsieg von Juan Manuel Fangio und Karl Kling, die im Zehntelsekundenabstand die Ziellinie kreuzten. Nachwuchsfahrer Hans Herrmann, dem in Reims die schnellste Runde gelungen war, fiel mit Motorschaden aus. Damit führte der neue Silberpfeil die Tradition bedeutender Mercedes und Mercedes-Benz Rennwagen fort und fuhr wie bereits 1914 und 1934 gleich bei seinem ersten Start einen Sieg ein. Am gleichen Tag, als die Silberpfeile ihren ersten Formel-1-Einsatz mit diesem spektakulären Doppelsieg krönten, geschah auch das „Wunder von Bern“: Die deutsche Nationalmannschaft wurde im Endspiel gegen Ungarn Fußball-Weltmeister. Diese beiden bemerkenswerten Sporterfolge steigerten das durch den Krieg nachhaltig beschädigte Ansehen Deutschlands – nicht nur in der Welt, sondern auch im Land selbst. So wird der 4. Juli 1954 von Historikern mitunter als eigentliches Ende der unmittelbaren Nachkriegszeit betrachtet.

Dass der Stromlinienwagen nicht unschlagbar war und insbesondere auf kurvigen Rennstrecken an seine Grenzen kam, zeigte sich am 17. Juli 1954 bei seinem zweiten Einsatz, dem Großen Preis von Großbritannien in Silverstone, bei dem Fangio und Kling nur die Plätze 4 und 7 belegten. Die Stromlinienkarosserie konnte ihre Vorteile auf dem nur 4,8 Kilometer langen Kurs mit kurzen Geraden und zahlreichen Kurven nur bedingt ausspielen und die Wagen waren zudem gegenüber Fahrzeugen mit freistehenden Rädern im Nachteil, weil sie wegen der verdeckten Räder nicht präzise genug um die Kurven manövriert werden konnten.

Eine von Beginn an geplante Variante mit freistehenden Rädern befand sich bereits in der letzten Phase der Entwicklung, war aber noch nicht einsatzbereit und hatte ihr Renndebüt erst 14 Tage später beim Großen Preis von Europa auf dem Nürburgring. Für den Großen Preis von Frankreich mit der sehr schnellen Rennstrecke in Reims war es naheliegend gewesen, den Schwerpunkt zuerst auf die Fertigstellung des Stromlinienwagens zu legen.

In der restlichen Saison kam die Stromlinienversion neben der klassischen Variante noch zweimal zum Einsatz – beide Male mit Hans Herrmann am Steuer, während seine Teamgefährten Fangio und Kling auf Wagen mit freistehenden Rädern unterwegs waren. Einen beeindruckenden Dreifachsieg konnten die Stromlinienwagen aber noch gegen Ende der Saison beim nicht zur Weltmeisterschaft zählenden AVUS-Rennen in Berlin erzielen: Kling gewann das Rennen vor Fangio und Herrmann.

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