Mercedes-Benz Rekordwagen T 80, 1939

Mercedes-Benz Rekordwagen T 80, 1939

In der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre spielten die legendären Grand-Prix-Rennen mit einsitzigen Formel-Rennwagen nicht die einzige Hauptrolle im Motorsport. Von den damaligen Machthabern in Deutschland wurden in gleichem Maß die ebenso prestige- wie schlagzeilenträchtigen Rekordfahrten unterstützt, bei denen sich die Protagonisten Daimler-Benz und Auto Union auf abgesperrten Autobahnabschnitten ein hartnäckig geführtes Duell lieferten.

Die ausgeprägte und 1937 in der Inszenierung der Rekordwoche gipfelnde Wettbewerbssituation zwischen den beiden Konkurrenten zog in den Jahren ab 1934 eine Fülle neuer Klassen- und Weltrekorde nach sich. Nicht in den Blick geriet dabei jedoch der absolute Geschwindigkeitsrekord für Landfahrzeuge, der bereits 1935 bei fast 485 km/h lag – ein Tempo, das auf öffentlichen Verkehrsstraßen unter Berücksichtigung eines Sicherheitsminimums für die Fahrer nicht mehr darstellbar war. Einzelkämpfer wie die Briten Sir Malcolm Campbell, George Eyston und John Cobb stachelten sich zu immer neuen Geschwindigkeitsweltrekorden an, die sie auf selbst konstruierten, von einem oder mehreren Flugmotoren angetriebenen Fahrzeugen aufstellten. Ort der Tat waren seit Mitte 1935 stets die Bonneville Salt Flats im US-Bundestaat Utah, die sich auf dem Gelände eines ausgetrockneten Salzsees ausbreiteten. Sie boten ideale Voraussetzungen, um in solch extreme Geschwindigkeitsbereiche vorzustoßen.

In Deutschland beobachtete vor allem eine Galionsfigur des Automobilsports – nicht zuletzt aus gesundem Eigeninteresse – das internationale Geschehen rund um die Verbesserung des absoluten Geschwindigkeitsrekords für Landfahrzeuge: der Auto Union Werksfahrer Hans Stuck. Die Nummer 1 der Zwickauer Werksmannschaft sah ihre Position durch die erfolgreichen Auftritte des strahlenden Jungstars Bernd Rosemeyer zunehmend gefährdet und wich in andere Betätigungsfelder aus. Stuck entwickelte die Idee, seine hervorragenden Kontakte zur nationalsozialistischen Polit-Elite zu aktivieren und in Zusammenarbeit mit Daimler-Benz und Ferdinand Porsches Konstruktionsbüro ein Flugmotor-getriebenes Weltrekordfahrzeug auf die Räder zu stellen, mit dem er den Geschwindigkeitsrekord nach Deutschland holen wollte.

Daimler-Benz Vorstand Wilhelm Kissel, stets darum bemüht, die führende Rolle des von ihm geleiteten Unternehmens sowohl im Automobil- wie im Flugmotorenbau herauszustellen, und der nach neuen Aufträgen Ausschau haltende Ferdinand Porsche ließen sich von Stuck begeistern – zumal es diesem gelungen war, Zugriff auf einen Daimler-Benz Flugmotor vom Typ DB 601 zu bekommen. Ein ungewöhnlicher Vorgang, denn sämtliche damals in Deutschland produzierten Flugmotoren standen unter der ausschließlichen Verfügungsmacht des Technischen Amts der Luftwaffe. Mit dessen Chef Ernst Udet war Stuck seit Jahren persönlich vernetzt.

Als Zielstellung für das Projekt Weltrekordfahrzeug galt zunächst das Erreichen einer Geschwindigkeit von 550 km/h – ein Wert, der mit den immer neuen Rekordmeldungen aus den USA auf 600 km/h und schließlich 650 km/h erhöht wurde. In Porsches Konstruktionsbüro, das bereits am 13. Januar 1937 mit der Realisierung des Projekts beauftragt worden war, kalkulierte man, dass für die 650-km/h-Marke eine Motorleistung von rund 3.500 PS/2574 kW erforderlich sei. Zugrunde gelegt wurde dabei Porsches Konzept eines dreiachsigen Rekordwagens, der wesentlich schlanker und leichter ausfallen sollte als die zum Teil mit zwei Motoren ausgerüsteten und um mehr als 1.000 PS/736 kW stärkeren Fahrzeuge der britischen Konkurrenten.

Zu diesem Zeitpunkt war man in Sachen Leistung aber nicht nur von den seinerzeit aktuellen Rekordfahrzeugen, sondern auch vom Leistungsniveau, das man bei seinem eigenen Projekt zu erreichen gedachte, weit entfernt. Der DB 601, ein Kompressor-aufgeladener V12-Flugmotor mit rund 34 Litern Hubraum, stellte in seiner Normalversion eine Maximalleistung von lediglich 1.100 PS/809 kW bereit. Dabei verfügte das mit einem Zylinderbankwinkel von 60° aufwartende Triebwerk neben klassischen Konstruktionsmerkmalen des Daimler-Benz Motorenbaus auch über eine Reihe durchaus leistungsfördernder technischer Charakteristika. Vor allem waren hier die direkte Benzineinspritzung zu nennen, aber auch Vierventiltechnik und Doppelzündung.

Welches Potenzial tatsächlich im DB 601 steckte, machten die 1937 speziell für Flugzeug-Geschwindigkeitsrekorde spezifizierten Spezialversionen namens DB 601 Re V deutlich. Mit höherer Verdichtung, schärferen Nockenwellen-Steuerzeiten, modifizierter Aufladung und brisantem Hochleistungskraftstoff lieferte der V12 eine Spitzenleistung von bis zu 2.770 PS/2.037 kW.

Parallel zu diesen gewissermaßen getunten Versionen des DB 601 arbeitete Daimler-Benz seit Herbst 1936 an einem hubraumstärkeren Triebwerk auf gleicher technischer Basis. Der DB 603 genannte Motor wies einen Hubraum von gut 44,5 Litern auf und war als Antriebsaggregat für größere und schwerere Militärflugzeuge gedacht. Zwar wurde seitens der politisch-militärischen Führung bereits im Frühjahr 1937 die Weiterentwicklung des DB 603 bis auf Weiteres untersagt, doch nutzte man einen vom Reichsluftfahrtministerium (RLM) zurückgekauften Versuchsmotor für Leistungsmessungen auf dem Prüfstand und den provisorischen Einbau in das Fahrgestell des neuen Rekordfahrzeugs.

Die bei diesen Prüfstandläufen ermittelten Werte waren vielversprechend: Ohne spezielle leistungssteigernde Modifikationen an der Technik, aber unter Verwendung von Rennkraftstoff wurde für den DB 603 eine Höchstleistung von 2.800 PS/2.059 kW notiert. Das anvisierte Ziel von 3.500 PS/2.574 kW lag damit in erreichbarer Nähe – vorausgesetzt, die Verwendung des bereits beim DB 601 Re V genutzten Maßnahmenpakets zur Leistungssteigerung wäre vom RLM genehmigt worden.

Vor allem das Fahrgestell des von Ferdinand Porsches Büro entworfenen Rekordfahrzeugs, das die der Porsche-Nomenklatur folgende Bezeichnung T 80 (Typ 80) erhielt, spiegelte klar das technische Credo des prominenten Konstrukteurs wider. Die Mittelmotoranordnung des gigantischen Triebwerks, die weit nach vorn gerückte Fahrerposition, aber auch die vordere Achskonstruktion mit als Parallelogramm ausgebildeten doppelten Kurbellenkern sowie die beiden hinteren Pendelachsen samt der durchgehenden Verwendung von Drehstabfedern zeigten Porsches Handschrift.

Auffällig war der betont schmale Schnitt des von ovalen Längsrohren getragenen, mehrfach querversteiften Leiterrahmens. Die Spurweiten betrugen vorne 1.300 mm und hinten 1.320 mm bzw. 1.180 mm – man versuchte, die Stirnfläche der Karosserie im Sinne optimaler Windschlüpfigkeit möglichst klein zu halten. Das direkt hinter dem Fahrerrücken positionierte Triebwerk kam ohne Getriebe aus – es hätte ohnehin keines gegeben, das den gewaltigen Kräften des V12 standgehalten hätte. Die Kurbelwelle des wie im Flugzeug über Kopf eingebauten Triebwerks mündete stattdessen direkt in eine riesige, im Öldunst laufende Dreischeiben-Kupplung mit Fliehkraftregelung.

Das anvisierte Geschwindigkeitsniveau von 650 km/h erforderte natürlich auch bei den Bremsen grundsätzliche Überlegungen hinsichtlich der beim Bremsvorgang entstehenden Reibungshitze. Die bei Trommelbremsen stets vorhandene Neigung zum Verziehen drohte angesichts der an allen sechs Rädern vorgesehenen Trommeldurchmesser von 500 mm und den hohen Radumdrehungszahlen besonders stark aufzutreten. Die Entwicklungsmannschaft schlug vor, am Rekordwagen T 80 die beim 3-Liter-Formel-Rennwagen W 154 bereits seit 1939 mit Erfolg eingesetzten turbogekühlten Bremstrommeln zu verwenden, die dank ihrer speziellen Verrippung eine sehr effiziente Wärmeableitung generierten.

Die Reifen selbst waren profillose Spezialkonstruktionen des Herstellers Continental. Bei einem Durchmesser von 32 Zoll betrug die Reifenbreite im Interesse eines möglichst geringen Rollwiderstands nur 7,00 Zoll. Das Hauptaugenmerk der Reifenkonstrukteure hatte selbstverständlich auf der Hochgeschwindigkeitsfestigkeit der Karkasse gelegen. Während die hochbeanspruchten Reifen bei Tests auf dem Rollenprüfstand keine Probleme bereiteten, erwiesen sich die Speichenfelgen als weniger temporesistent. Bei Geschwindigkeiten von um die 500 km/h kam es zu Verformungen der Felgen und in der Folge zu Diskussionen zwischen Continental und dem Felgenhersteller, der Hering AG.

Abgesehen von der Triebwerksleistung lag der Schlüssel für einen Erfolg des Projekts in der Gestaltung der Karosserie. Verglichen mit den Mercedes-Benz Rekordfahrzeugen auf Basis der Formel-Rennwagen betrat man mit der Formgebung des T 80 Neuland. Geringstmöglicher Luftwiderstand durch eine fließende Linienführung, eine kleine Stirnfläche dank geringer Fahrzeugbreite und großformatige Stummelflügel an den Wagenflanken, die hohe Abtriebswerte produzieren sollten, charakterisierten die von einem grazilen Rohrrahmen getragene Außenhaut. Die Dimensionen des T 80 machten Eindruck: Bei einer Länge von 8.240 mm betrug die Breite des Karosseriekorpus ohne die Stummelflügel nur 1.740 mm. Der weit nach vorn gerückte Fahrerplatz wurde von einer nach Flugzeugart schmal geschnittenen, komplett geschlossenen Kanzel abgedeckt.

Bis Anfang 1940 hielt man bei Daimler-Benz den erfolgreichen Einsatz des T 80 für möglich. Der Wagen stand auf seinen sechs Rädern, fast alle Technikkomponenten sowie die Karosserie waren nahezu einsatzfertig. Doch einige zentrale Fragen, die am Ende unbeantwortet blieben, ließen das Projekt scheitern. Bis fast zum Schluss blieb das vom RLM verfügte Weiterentwicklungsverbot des DB 603 bestehen, sodass bis auf einige Prüfstandläufe und einen provisorischen Einbau ins Fahrgestell keine Gelegenheit bestand, das Triebwerk auf das angestrebte Leistungsniveau von 3.500 PS/2.574 kW zu bringen. Von noch größerer Bedeutung war jedoch die veränderte Weltlage: Mit dem Kriegsbeginn im September 1939 hatte Daimler-Benz keinen Zugriff mehr auf Strecken, wo der T 80 den absoluten Geschwindigkeitsrekord für Landfahrzeuge hätte in Angriff nehmen können. Abgesperrte Autobahnabschnitte waren für Geschwindigkeiten um 650 km/h nicht mehr geeignet, auch wenn man zunächst noch den bereits im Februar 1939 für Rekordfahrten genutzten Streckenabschnitt bei Dessau im Blick hatte, und die Bonneville Salt Flats in den USA waren unter den gegebenen Umständen ebenfalls keine Option. So wurden alle Entwicklungsarbeiten am vielversprechenden T 80 im Februar 1940 eingestellt.

Der Motor wurde ausgebaut und das Fahrzeug abgestellt. Das naturgemäß im Geheimen betriebene Projekt kam schon kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs an das Licht der Öffentlichkeit: Der britische Automobiljournalist und Motorsportenthusiast Laurence Pomeroy präsentierte das Fahrzeug nach einem Besuch im Daimler-Benz Werk Untertürkheim in einem Artikel, der im November 1945 unter dem Titel „A 450 m.p.h. Car“ im Fachmagazin „The Motor“ veröffentlicht wurde. Eine noch detailliertere Beschreibung des außergewöhnlichen Fahrzeugs erschien 1948 unter dem Titel „Investigation Into the Development of German Grand Prix Racing Cars Between 1934-1939 (including a Description of the Mercedes World's Land Speed Record Contender)“. Diese sehr umfassende Dokumentation präsentiert in klar strukturierter, technisch sehr detaillierter Form die Erkenntnisse des britischen Geheimdienstoffiziers Cameron Earl, die dieser über die Rennwagen von Mercedes-Benz und Auto Union bei einer vierwöchigen Reise im April/Mail 1947 gewonnen hatte. Die in den beiden Quellen genannten Angaben zur Höchstgeschwindigkeit waren mit 450 bzw. 464 mph (724 bzw. 746 km/h) deutlich zu hoch angesetzt - hier hatten wohl die aufgesuchten Gesprächspartner der Daimler-Benz AG allzu vollmundige Schätzungen abgegeben.

Bereits Anfang der 1950er-Jahre wurde der spektakuläre Rekordwagen im damaligen Daimler-Benz Museum ausgestellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Als im März 1952 in der britischen Fachpresse Meldungen veröffentlicht wurden, dass Mercedes-Benz mit dem T 80 noch im gleichen Jahr einen Angriff auf den absoluten Geschwindigkeits-weltrekord zu unternehmen, beeilte sich das Unternehmen, diese Gerüchte zu dementieren und festzustellen, dass das spektakuläre Fahrzeug „auch in Zukunft seinen Stand im Daimler-Benz Museum in Stuttgart-Untertürkheim nicht verlassen wird.“

Dabei sollte es auch weiterhin bleiben. Bei der Umgestaltung des Museums im Rahmen des Jubiläums „100 Jahre Automobil 1886-1986“ wurde der T 80 nicht mehr auf seinen Rädern stehend, sondern an der Wand hängend platziert. Aus diesem Grund wurde die Karosserie einschließlich ihrer Rohrrahmenstruktur vom Fahrgestell mit Antriebsstrang getrennt, mit Rädern versehen und an der Museumswand befestigt. Das tonnenschwere Original-Fahrgestell war seitdem in den „Heiligen Hallen“ der Fahrzeugsammlung. 2017 wurde die Idee entwickelt, dieses beeindruckende Exponat wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zu diesem Zweck wurde es mit eigens neu angefertigten Reifen versehen, und um einen realistischeren Eindruck von der Erscheinung des Fahrzeugs zu vermitteln, wurden auch ein Original-Schnittmodell des Flugmotors DB 603 und eine originalgetreu rekonstruierte Rohrrahmen-Konstruktion montiert. In dieser Form wurde das neu erstandene Ausstellungsstück auf dem Goodwood Festival of Speed im Juli 2018 offiziell präsentiert. Seitdem kann man den T 80 – in Form seiner originalen Karosserie mit Rädern – nicht nur im Museum bewundern, sondern mit etwas Glück als originales Fahrgestell bei einem seiner Einsätze auf Ausstellungen und Veranstaltungen. Dass der T 80 eines Tages doch noch zum Fahreinsatz kommen wird, kann aber als ausgeschlossen gelten.

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