Benz 120 PS Grand-Prix-Rennwagen, 1908

Benz 120 PS Grand-Prix-Rennwagen, 1908

Nach den ermutigenden Resultaten, die 1907 mit dem 60 PS Targa-Florio-Rennwagen erzielt werden konnten, strebte man bei Benz & Cie. in Mannheim für die Motorsportsaison 1908 ein Engagement in den Top-Kategorien der bedeutendsten Rennveranstaltungen an. Im Visier standen nun Gesamtsiege statt Klassensiege.

Um auf dieser Ebene konkurrenzfähig zu sein, bedurfte es eines komplett neu entwickelten Einsatzfahrzeugs. In der Folge konstruierte der Belgier Louis de Groulart bei Benz einen leicht langhubig ausgelegten Vierzylindermotor, der im Unterschied zu den Renntriebwerken der Vorjahre über jeweils hängend angeordnete Ein- und Auslassventile verfügte. De Groulart nutzte das vom Reglement mit 155 mm vorgegebene Höchstmaß für die Bohrung und wählte einen Hub von 160 mm. Damit betrug der Hubraum des Aggregats 12.076 cm³, seine Spitzenleistung erreichte 120 PS/88 kW bei 1500/min. De Groularts Konstruktion zeichnete sich vor allem durch ihr deutlich reduziertes Gewicht aus: Der neue Rennmotor fiel trotz doppelter Leistung leichter aus als das Triebwerk des Targa-Florio-Rennwagens aus dem Jahr zuvor. Neben dem 12-Liter-Motor konzipierte de Groulart auch gleich eine Variante mit einem um 40 mm längerem Hub, die aus 15,1 Liter Hubraum eine Leistung von 150 PS/110 kW schöpfte.

Eingebettet waren die großvolumigen Vierzylinder in einen dem zeitgenössischen Stand der Technik entsprechenden Rahmen. Zwei Pressstahlprofile mit U-förmigem Querschnitt fungierten als Längsträger. Um die nötige Stabilität zu gewährleisten, waren diese durch zahlreiche Quertraversen miteinander verbunden. Damit die Bauhöhe und folglich der Fahrzeugschwerpunkt möglichst niedrig gehalten werden konnten, waren die beiden Längsträger über der Hinterachse gekröpft. Das Eigenleben der beiden an Halbelliptikfedern aufgehängten starren Achsen sollte im Rennbetrieb durch rundum montierte Federbandstoßdämpfer im Zaum gehalten werden. Über ein 4-Gang-Getriebe und beidseitige Ketten wurde die Motorkraft an die Hinterräder übertragen.

Die mechanische Bremsanlage des bis zu 160 km/h schnellen Rennwagens war, wie seinerzeit üblich, in ihrer Effektivität begrenzt, und ihre Betätigung erforderte ebenso viel Geschick wie Gefühl. Die Verzögerungsinstrumente 7umfassten Innenbackenbremsen an der Hinterachse und Außenbandbremsen an jener Zwischenwelle, die das Antriebsmoment vom Getriebe an die vorderen Kettenräder des Achsantriebs weiterleitete. Eine Besonderheit war die Auslegung der hinteren Innenbackenbremsen: Sie verfügte je Rad über einen eigenen Fußhebel, sodass der Fahrer Art und Intensität der Bremswirkung variieren konnte – ein potenzieller Vorteil im hektischen Renngeschehen.

Der erste, im Frühjahr 1908 fertiggestellte 120 PS Grand-Prix-Rennwagen unterschied sich von den nachfolgenden Exemplaren dadurch, dass die Position von Fahrer und Mechaniker sowie des Tanks weiter nach hinten gerückt war; zudem wies die Motorhaube 18 statt der 16 Belüftungsschlitze der späteren Exemplare auf.

Nach umfangreichen Erprobungsfahrten brachte Victor Hémery, der französische Starfahrer der Benz Rennmannschaft, Anfang Juni den 12-Liter-Wagen beim über 686 Kilometer führenden Langstreckenrennen Petersburg – Moskau erstmals an den Start. Die strapaziöse Prüfung endete mit einem sensationellen Triumph Hémerys, der mit 8:30:48 h die Siegerzeit des Vorjahres um 51 Minuten unterbot.

Beim Anfang Juli auf einem Rundkurs im nordfranzösischen Dieppe ausgetragenen Grand Prix de l’A.C.F., dem Großen Preis von Frankreich, zeigte Hémery – der die Vorjahresveranstaltung, ebenfalls in Dieppe, noch auf Mercedes bestritten hatte – eindrucksvoll seine Kämpfernatur. Nach fast fünf Rennstunden lag er mit seinem Benz Grand-Prix-Rennwagen nur 51 Sekunden hinter dem führenden 140 PS Mercedes von Christian Lautenschlager. Dann hatte der Franzose Glück im Unglück: Ein aufgewirbelter Stein durchschlug ein Glas seiner Fahrerbrille, wobei ein Splitter ins Auge drang. Nach kurzer ärztlicher Behandlung konnte Hémery das Rennen, immer noch auf Platz 2 liegend, wieder aufnehmen. Es gelang ihm trotz des Handicaps, diesen Rang bis ins Ziel zu halten. Hémerys französischer Mannschaftskollege bei Benz, René Hanriot, und Fritz Erle komplettierten mit dem dritten bzw. siebten Platz das hervorragende Abschneiden des neu entwickelten Grand-Prix-Rennwagens. Aufgrund dieser geschlossenen Teamleistung gewann Benz die Gleichmäßigkeits-Wertung. Einzelne Quellen geben an, dass Erle beim Grand Prix in Dieppe bereits mit dem 15,1-Liter-Langhuber an den Start gegangen war; auch wenn sich dies aus heutiger Sicht nicht abschließend klären lässt, erscheint es doch insgesamt unwahrscheinlich.

Einen weiteren bedeutsamen Erfolg für den Benz Grand-Prix-Wagen brachte das in der Nähe von Wien veranstaltete Semmering-Bergrennen, das im September 1908 zum zehnten Mal ausgetragen wurde. Victor Hémery errang in der Wertung der Grand-Prix-Rennwagen den dritten Platz hinter den beiden Mercedes von Otto Salzer und Willy Pöge.

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