Mercedes-Benz 300 SL (W 194), 1952

Mercedes-Benz 300 SL (W 194), 1952

Nach der Zäsur des Zweiten Weltkriegs und der schwierigen Wiederaufnahme einer regulären Fahrzeugproduktion während der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre begann ab Ende 1950 die Suche der Daimler-Benz AG nach Möglichkeiten zu einem neuerlichen Engagement in der sich wieder entfaltenden internationalen Motorsportszenerie. Treibende Kraft hinter diesen Bemühungen war der damalige Vorstandsvorsitzende Wilhelm Haspel. Dessen Credo lautete, dass die erfolgreiche Teilnahme von Mercedes-Benz Fahrzeugen an bekannten Rennsportveranstaltungen einerseits der Stärkung des Unternehmensrenommees dient und andererseits eine wichtige Maßnahme zur Verkaufsförderung darstellt, speziell mit Blick auf die dringend notwendige, bessere Erschließung von Exportmärkten.

Erste Ansätze, sich mit einem neu konstruierten 1,5-Liter-V12-Rennwagen an der seit 1950 ausgetragenen Formel-1-Weltmeisterschaft zu beteiligen, wurden im Herbst 1951 intern gestoppt. Man hatte berechtigte Sorge, dass die bereits seit 1947 gültige Motorenformel bald auslaufen könnte und sich die hohen Investitionskosten am Ende nicht auszahlen würden.

Bereits seit Juni 1951 beschritt man bei Daimler-Benz parallel auch einen anderen und, wie sich herausstellen sollte, höchst erfolgreichen Weg, um den Wettbewerb auf motorsportlicher Ebene wieder herauszufordern. Der Blick richtete sich auf Sportwagenrennen, die in der Nachkriegszeit international einen ungeahnten Aufschwung genommen hatten. Straßen- und Rundstreckenrennen wie die Mille Miglia, die 24 Stunden von Le Mans oder die 1950 ins Leben gerufene, hochdotierte Carrera Panamericana quer durch Mexiko lockten nicht nur Hunderttausende an die Strecken, sondern fanden weltweit große Resonanz. Zudem war eine Anzahl neuer Akteure auf der Bildfläche vertreten, die die Messlatte für die Untertürkheimer hochlegten, zum Beispiel Ferrari, Lancia oder Aston Martin.

Ein nicht zu unterschätzender Vorteil eines Werksengagements bei Sportwagenrennen war zudem die Tatsache, dass die Entwicklungskosten für die Einsatzfahrzeuge überschaubar blieben, da es sich dabei nicht um reine Prototypen handelte, sondern das technische Reglement für wichtige Komponenten eine gewisse Nähe zur Serienfertigung vorschrieb – wie auch immer man Letztere im Detail definierte.

In seiner Eigenschaft als Leiter der Versuchsabteilung und ehemaliger Technischer Leiter der Rennabteilung hatte Rudolf Uhlenhaut die Idee, auf Technikkomponenten der beiden Mercedes-Benz Spitzenmodelle 300 (Baureihe 186) und 300 S (Baureihe 188) zurückzugreifen und diese mit einem innovativen Rahmenkonzept und einer aerodynamisch optimierten Sportwagenkarosserie zu kombinieren. Unterstützt von der geballten Kompetenz des Mercedes-Benz Konstruktionsteams und der Versuchsabteilung sah Uhlenhaut klar das Potenzial, einen schlagkräftigen Rennsportwagen auf die Räder stellen zu können, der trotz mancher Einschränkungen den sehr viel spezieller auf den Einsatzzweck zugeschnittenen Fahrzeugen etwa von Ferrari mindestens auf Augenhöhe begegnen konnte.

Nachdem im Frühsommer 1951 seitens des Daimler-Benz Vorstands beschlossen worden war, Sonderaufbauten für ein solches Projekt fertigen zu lassen, nahmen die konzeptionellen Konturen des Fahrzeugs schnell Gestalt an. Bereits ein knappes halbes Jahr später, im November, beschrieb Chefingenieur Fritz Nallinger die konstitutiven Elemente der Konstruktion. Ziel sei es, einen möglichst leichtgewichtigen und mit geringem Luftwiderstand aufwartenden, niedrigen Aufbau zu realisieren. Als Chassis käme ein „Rohrtraggestell“ zum Einsatz, in das der bekannte Sechszylindermotor schräg liegend eingebaut werde, um die Bauhöhe möglichst gering zu halten. Als weitere Serienkomponenten würden Getriebe, beide Achsen und das Bremssystem vom 300 S übernommen. Erstmals wurde bei dieser Gelegenheit auch der Baureihencode des neuen Rennsportwagens erwähnt, der wenig später als Urvater aller Mercedes-Benz SL in die Automobilgeschichte eingehen sollte: W 194. Als Typenbezeichnung wurde 300 SL festgelegt, wobei die Zahl 300 gemäß dem Nomenklatursystem der Mercedes-Benz Pkw einen Hubraum von 3 Litern bezeichnete und das Kürzel SL für „Super-Leicht“ stand - damit also gewissermaßen eine Leichtbauvariante des 300 S deklarierte.

Die Wurzeln des im 300 SL eingesetzten Antriebsaggregats M 194 reichten bis in die Vorkriegszeit zurück. Der ursprünglich als Pkw-Motor geplante und ab 1941 für leichte Nutzfahrzeuge verwendete 2,6-Liter-Reihensechszylinder M 159 diente konstruktiv als Basis für den späteren Rennmotor.

Zwar verhinderte die Ventilsteuerung mittels unten liegender Nockenwelle und langer Stößelstangen höhere Drehzahlen und damit nachhaltige Leistungssteigerungen, aber eine ingeniöse Idee des leitenden Motorenkonstrukteurs Wolf-Dieter Bensinger eröffnete dennoch Möglichkeiten, das Leistungsvolumen des Sechszylinders zu erhöhen. Durch einen schrägen Schnitt quer durch den Brennraum schuf Bensinger mehr Platz für größere Ventilteller und in der Folge einen verbesserten Gaswechsel.

Weitere Entwicklungsarbeiten umfassten bis Mitte 1950 eine Hubraumerhöhung von 2,6 auf 3 Liter sowie den Übergang zu einer oben liegenden Nockenwelle, die dank der vorhandenen halbkugelförmigen Brennräume samt V-förmig hängender Ventile die Leistungsfreude des Triebwerks, das jetzt die Bezeichnung M 186 trug, deutlich förderte. In dieser Form und mit einer Spitzenleistung von 115 PS/85 kW debütierte der Motor im neuen Repräsentationsfahrzeug Mercedes-Benz 300, das im April 1951 auf der ersten Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt/Main vorgestellt wurde. Mit einer Dreivergaseranlage und höherer Verdichtung ausgerüstet, stellte das Aggregat unter der Bezeichnung M 188 in der Sportwagen-Modellreihe 300 S, die im Oktober auf dem Pariser Automobil-Salon Premiere feierte, bereits eine Höchstleistung von 150 PS/110 kW bereit.

Für den Einsatz im Motorsport erhielt das Triebwerk eine Trockensumpfschmierung mit separatem Öltank, die optimale Schmierstabilität auch im Extrembereich garantierte. Zudem begünstigte die nicht mehr vorhandene Ölwanne eine besonders niedrige Einbauposition des Sechszylinders. Diese nur für Sportzwecke spezifizierte Version des Sechszylinders erhielt die Bezeichnung M 194.

Da der Motor trotz mancher Anpassungen an den besonderen Einsatzzweck konzeptionell nach wie vor ein relativ simples Serienaggregat war – im Gegensatz etwa zu den in weit geringeren Stückzahlen produzierten und sehr viel spezieller ausgelegten V12-Kraftpaketen von Ferrari –, fiel es den Entwicklern keinesfalls leicht, den Dreiliter auf ein konkurrenzfähiges Leistungsniveau zu bringen. Vor allem setzte man auch auf unbedingte Zuverlässigkeit, die bei Langstreckenrennen wie der Mille Miglia oder den 24 Stunden von Le Mans noch entscheidender war als überlegene Motorleistung.

Anvisiert wurde, der 200 PS/147 kW-Marke möglichst nahe zu kommen. Um dieses Ziel zu erreichen, konzentrierte man sich bei der Suche nach Leistung auf wenige Kernbereiche: die Vergaserbestückung, die Nockenwellen und das Verdichtungsverhältnis. Für den Einsatz bei der Carrera Panamericana in Mexiko konnte darüber hinaus das Hubvolumen durch eine Vergrößerung des Bohrungsmaßes um 1,5 mm auf 3102 cm³ erhöht werden, da die Ausschreibung des Rennens keine Hubraumobergrenze vorsah.

Bei den fünf Rennen der Saison 1952 trat der 300 SL Rennsportwagen stets mit speziell konfigurierten Triebwerken an, deren Feintuning sich nach dem Charakter der jeweiligen Veranstaltung und der zur Verfügung stehenden Kraftstoffmixtur richtete. Nachdem vielversprechende Versuche mit Weber-Vergasern beendet worden waren, weil die revolutionäre Eigenentwicklung der direkten Benzineinspritzung kurzfristig einsatzfertig zu sein schien, waren alle Motoren mit drei Solex-Vergasern ausgerüstet. Die Höchstleistungen der in den Rennen verwendeten M 194 Triebwerke schwankte beträchtlich. Sie reichten von 162,5 PS/120 kW bis 180 PS/132 kW bei jeweils 5600/min.

Eine Sonderrolle spielten die Kompressormotoren, die im Vorfeld des Großen Jubiläumspreises vom Nürburgring für Sportwagen entstanden waren. Durch eine Aufladung des Dreiliter-Triebwerks sollte das Leistungspotenzial des M 194 für Sprintrennen deutlich nach oben ausgeweitet werden. Die mit der eigenen Bezeichnung M 197 versehene Version brachte es auf stattliche 230 PS/169 kW bei 6400/min, vermochte bei Testfahrten aber nicht durch makellose Zuverlässigkeit zu überzeugen. Hinzu kam, dass die hohe Leistungsausbeute des M 197 das Fahrwerk des 300 SL Rennsportwagens an seine Grenzen brachte. Am Ende führte auch im Fall des Kompressormotors nicht zuletzt der lange Schatten der direkten Benzineinspritzung zur Einstellung sämtlicher weiterer Entwicklungsarbeiten.

Eine im Wettbewerbsumfeld angemessene Motorleistung war indes nur eine Seite der Medaille. Ein besonders niedriges Fahrzeuggewicht und bestmögliche Windschlüpfigkeit des Karosserieaufbaus spielten für die Entwickler eine mindestens ebenso große Rolle für den angestrebten Erfolg. Rudolf Uhlenhaut hatte sich schon in den frühen Nachkriegsjahren intensiv Gedanken über ein völlig neues Rahmenkonzept für Wettbewerbsfahrzeuge gemacht. Der von ihm ersonnene Gitterrohrrahmen bediente sich dünnwandiger Rundrohre verschiedener Durchmesser, die, jeweils zu Dreierverbünden kombiniert, ein ungemein torsionssteifes und dabei leichtgewichtiges Rohrgeflecht ergaben, das sowohl alle Technikkomponenten wie auch die Karosserie trug. Der von Uhlenhaut entworfene Gitterrohrrahmen für den 300 SL Rennsportwagen wog je nach Ausführung nur zwischen 64 und 68 kg und war damit leichter als alle bis dato verwendeten Rahmenkonstruktionen.

Auch an der Gestaltung des Karosserieaufbaus war Uhlenhaut beteiligt. Die Formgebung des 300 SL Rennsportwagens entsprach letztlich der von theroretischem und vor allem praktischem Wissen geprägten Vorstellung, wie eine aerodynamisch günstige Coupé-Karosserie auszusehen habe. Der Feinschliff, etwa die Fragen der allgemeinen Fahrstabilität, der Motorraumbelüftung oder der Unterbodenverkleidung, wurde von den Spezialisten der Karosserieentwicklung besorgt. Ein Unikum der ersten fünf Fahrzeuge war die kleine Einstiegsklappe, sozusagen der Urahn der klassischen Flügeltüre, die aufgrund der weit nach oben bauenden Gitterstruktur des Rohrrahmens notwendig geworden war. Bereits im Vorfeld hatte Alfred Neubauer, der Mercedes-Benz Rennleiter, umfangreiches Reglementstudium betrieben und diese konstruktive Lösung für unbedenklich erklärt. In dieser Form wurde der 300 SL der internationalen Presse am 12. März 1952 deutlich vor Beginn der Motorsportsaison auf der Autobahn Stuttgart-Heilbronn präsentiert.

Im Zusammenhang mit der Karosserie des 300 SL Rennsportwagens gab es im Lauf der Weiterentwicklung drei Besonderheiten. Die nachhaltigste betraf die Einführung der Flügeltüren, die in der universellen Automobilgeschichte auf ewig mit Mercedes-Benz verbunden bleiben wird. Am Wagen mit der Fahrgestell-Endnummer 6 wurde im Vorfeld des Starts bei den 24 Stunden von Le Mans auf Anregung der Regelwächter des veranstaltenden Automobile Club de l’Ouest (ACO) erstmals diese deutlich vergrößerte Einstiegsluke mit ihren nach oben schwingenden Türen verwirklicht. 

Zweite Besonderheit waren Versuche mit einer sogenannten Luftbremse, die vor dem 24-Stunden-Rennen in Le Mans, das am 14./15. Juni 1952 auf dem Programm stand, ebenfalls am Fahrzeug mit der Fahrgestell-Endnummer 6 montiert wurde. Um die Trommelbremsanlage des 300 SL (W 194) im Rennbetrieb zu entlasten, wurde auf dem Dach des Wagens eine auf zwei Pylonen verankerte Bremsklappe angebracht, die in Ruhestellung flach auflag, bei Bremsmanövern aus höheren Geschwindigkeiten aber vom Fahrer mit Hilfe einer hydraulischen Betätigung aufgestellt werden konnte und sich im 90-Grad-Winkel gegen den Fahrtwind stemmte. Zwar ergaben sich dadurch erheblich verbesserte Verzögerungswerte und eine Schonung der Wagenbremse, aber die Verankerung der großformatigen Bremsklappe auf dem Dach wurde angesichts der erheblichen Krafteinwirkung in aktivierter Position als nicht hundertprozentig ausgereift beurteilt. In der Folge stellte man die Erprobungen vorerst zurück.

Für den ersten Renneinsatz des 300 SL (W 194) auf heimischem Boden, Anfang August 1952 beim Großen Jubiläumspreis vom Nürburgring für Sportwagen, kam es karosserieseitig zu einer dritten Besonderheit. Die im Starterfeld vertretenen vier 300 SL traten in einer eigens entwickelten Roadsterversion an. Um Gewicht einzusparen hatte man die Dachaufbauten von drei der vier Wagen abgetrennt und ein spartanisch gehaltenes offenes Cockpit gestaltet, das je nach Einsatz ein- oder zweisitzig ausgeführt werden konnte. Der vierte Roadster wurde als solcher neu aufgebaut und zeichnete sich zusätzlich durch einen um 200 mm verkürzten Radstand sowie verringerte Spurweiten vorne und hinten aus. Ziel der Maßnahme war es, eine nicht nur leichtere, sondern auch kompaktere und handlichere Version des 300 SL Rennsportwagens auf die Räder zu stellen. Außer beim Rennen auf dem Nürburgring kam die Roadsterversion nur noch ein weiteres Mal zum Einsatz: ein Exemplar mit regulärem Radstand startete unter der Fahrerpaarung Fitch/Geiger im November 1952 bei der Carrera Panamericana in Mexiko, gelangte dort aber nicht in die Wertung, weil Fitch unmittelbar nach dem Start zur vorletzten Etappe noch einmal im Rückwärtsgang zurückgefahren war, um ein paar letzte Korrekturen vornehmen zu lassen und infolgedessen disqualifiziert wurde.

Was die Fahrwerksspezifikationen des neuen Rennsportwagens anging, bediente sich die Entwicklungsmannschaft aus dem Fundus der Serienmodelle 300 (W 186) und 300 S (W 188). Vorne kam die bereits seit Mitte der 1930er-Jahre bewährte Trapezlenkerachse zum Einsatz, eine Eigenkonstruktion von Mercedes-Benz. Hinten übernahm die bekannte, 1931 erstmal realisierte Zweigelenk-Pendelachse die Radführungsfunktion. Beide Fahrwerkselemente zeigten sich zwar im Detail für den Einsatz in einem Wettbewerbsfahrzeug modifiziert, doch mit steigenden Motorleistungen und im anspruchsvollen Renn- und Testbetrieb wurden schnell die Grenzen der Basiskonstruktion deutlich, nicht zuletzt aufgrund der im Vergleich zu den Serienmodellen vorne und hinten reduzierten Spurweiten. Unbefriedigende Spur- und Sturzkonstanz der Hinterachse bei schneller Kurvenfahrt und erhebliche Traktionsprobleme beim Herausbeschleunigen aus engeren Ecken waren – je nach Veranstaltung mal stärker und mal weniger stark ausgeprägt – in der Rennsaison 1952 ständige Begleiter der Mercedes-Benz Werksfahrer.

Besser den Strapazen des Rennbetriebs gewachsen war die Trommelbremsanlage des 300 SL Rennsportwagens. Durch eine Verbreiterung der Bremstrommeln war die Bremsfläche gegenüber den Serienfahrzeugen 300 und 300 S deutlich größer geworden; zudem waren die gerippten Aluminium-Bremstrommeln nach dem Alfin-Verfahren gegossen und wiesen eine größere Hitzeresistenz auf. Zwar war die Bremsanlage des W 194 bei keinem der Renneinsätze 1952 der limitierende Faktor, doch ließ die erstmals in jenem Jahr von Jaguar in einem Rennfahrzeug verwendete Scheibenbrems-Technologie ahnen, dass sich – zumindest im Automobilsport – die Ära der Trommelbremse allmählich ihrem Ende zuneigte.

Der Rennkalender der Mercedes-Benz Werksmannschaft sah einen Start mit jeweils mehreren 300 SL Rennsportwagen bei fünf Veranstaltungen vor. Da man im Kräftevergleich mit dem Wettbewerb, vor allem Ferrari, weniger auf schiere Motorleistung als vielmehr auf absolute Zuverlässigkeit und akribische Vorbereitung setzte, war der Blick vornehmlich auf Langstreckenprüfungen gerichtet. Besonders die Mille Miglia in Italien und das 24-Stunden-Rennen von Le Mans schienen ein ideales Terrain zu sein, um die Qualitäten des neuen Wagens unter Beweis zu stellen – nicht zuletzt mit Blick auf den weltweiten Widerhall, den diese Veranstaltungen fanden.

Eine Gleichung mit vielen Unbekannten blieb die Ende November angesetzte Carrera Panamericana in Mexiko, die freilich mit exorbitanten Start- und Preisgeldern lockte. Als überaus anspruchsvolles Straßenrennen, das dazu noch auf dem amerikanischen Kontinent ausgetragen wurde, passte sie sportlich und strategisch dennoch gut ins Bild. Ergänzt wurde die Agenda durch zwei Sprintrennen. Sowohl der Preis von Bern wie auch der Große Jubiläumspreis vom Nürburgring für Sportwagen waren Rahmenveranstaltungen innerhalb eines Grand-Prix-Wochenendes und insofern von begrenztem sportlichem Wert. Hier hatte eher die Präsentation des neuen Mercedes-Benz Rennsportwagens vor heimischem Publikum Vorrang.

Die Rückkehr eines Mercedes-Benz Werksteams auf die große internationale Motorsportbühne begann Anfang Mai 1952 mit einem Paukenschlag. Mit drei 300 SL unter den Fahrerpaarungen Kling/Klenk, Caracciola/Kurrle und Lang/Grupp stellten sich die Untertürkheimer bei der Mille Miglia stärkstem einheimischem Wettbewerb. Wagenmaterial, Fahrtalent und Ortskenntnis der italienischen Kontrahenten ließen ein erfolgreiches Abschneiden des Mercedes-Benz Teams bei seinem ersten großen Auftritt nach Kriegsende alles andere als voraussehbar erscheinen.

Dennoch führten die aufwendige Vorbereitung, umfangreiche Testfahrten auch vor Ort, die makellose Verlässlichkeit der neuen Rennsportwagen sowie nicht zuletzt die Fahrkünste Karl Klings und Rudolf Caracciolas zu einem kaum für möglich gehaltenen Erfolg: Hinter der Ferrari-Mannschaft Bracco/Rolfo belegten Kling/Klenk mit etwas mehr als vier Minuten Rückstand Platz zwei und Caracciola/Kurrle Rang vier im Endklassement.

Beflügelt von diesem Resultat ging die Mercedes-Benz Werksmannschaft zwei Wochen später mit gleich vier W 194 an den Start zum Preis von Bern, der als Sprintrennen auf dem gefährlichen Kurs im Bremgartenwald ausgetragen wurde. Das fast ausschließlich aus Privatfahrern bestehende Teilnehmerfeld vermochte keine Gegenwehr zu leisten, und so gelang Karl Kling, Hermann Lang und Fritz Rieß ein ungefährdeter Dreifacherfolg. Überschattet wurde das Rennen vom schweren Unfall Rudolf Caracciolas, der mit seinem Wagen gegen einen Baum prallte und dabei so gravierende Verletzungen davontrug, dass er seine grandiose Karriere in der Folge beenden musste.

Das dritte Saisonrennen waren Mitte Juni die legendären 24 Stunden von Le Mans. Nach einem vom Werk unterstützten Start Rudolf Caracciolas im Jahr 1930 auf einem Mercedes-Benz Typ SS, der nach 85 Runden mit einem Ausfall endete, hatte diese Inkarnation der automobilsportlichen Langstreckenprüfung trotz ihrer weltweiten Bedeutung seither nicht mehr auf der Agenda der Mercedes-Benz Rennabteilung gestanden. Aktuell passte sie perfekt in das Produktprofil des neuen und bereits so erfolgreichen 300 SL Rennsportwagens.

Drei Wagen mit den Fahrerpaarungen Lang/Rieß, Helfrich/Niedermayr und Kling/Klenk forderten die versammelte Welt hochkarätiger Rennsportwagen samt der internationalen Fahrerelite heraus. Nach 24 Stunden und 3733,78 zurückgelegten Kilometern stand die Sensation fest: Mercedes-Benz holte mit Lang/Rieß und Helfrich/Niedermayr auf dem 300 SL einen überlegenen Doppelsieg. Einzig das Duo Kling/Klenk hatte aufgrund technischer Probleme die Distanz nicht bewältigt. Die Qualitäten des Wagens, gepaart mit der Exzellenz der technischen wie auch organisatorischen Vorbereitung und in jeder Hinsicht souverän agierenden Piloten hatten zum ersten weltweit beachteten Motorsporterfolg der Mercedes-Benz Werksmannschaft in der Nachkriegszeit geführt.

Es dauerte bis Anfang August, dass auch das begeisterte Heimpublikum am Nürburgring die Gelegenheit hatte, die international für Furore sorgenden Mercedes-Benz 300 SL Rennsportwagen in Aktion bewundern zu können. Zwar stellte der für Sportwagen ausgeschriebene Große Jubiläumspreis mangels eines schlagkräftigen Teilnehmerfelds keine ernste sportliche Herausforderung dar, doch wollte die Untertürkheimer Werksmannschaft auf deutschem Terrain etwas Besonderes bieten. Der ursprüngliche Plan, dabei erstmals auch zwei 300 SL mit Kompressor-aufgeladenen Motoren der Baureihe M 197 antreten zu lassen, wurde jedoch wegen kurzfristig aufgekommener Zweifel an der Verlässlichkeit der Triebwerke fallengelassen, und der Einsatz der Kompressormotoren blieb auf das Training beschränkt. So kam es am Nürburgring nur zur Premiere der Roadsterversionen. Drei der vier an den Start gebrachten offenen Rennsportwagen verfügten über den normalen Radstand, einer über das deutlich verkürzte Maß von nur 2200 mm.

Nach dem Fallen der Startflagge nahm das Rennen den erwarteten Verlauf: Die 300 SL (W 194) machten den Großen Jubiläumspreis unter sich aus und belegten zur Freude des in Massen erschienenen Publikums in der Reihenfolge Hermann Lang, Karl Kling, Fritz Rieß und Theo Helfrich die ersten vier Plätze.

Als wahres Abenteuer für die Mercedes-Benz Rennabteilung stellte sich der letzte Saisoneinsatz Ende November dar. Viel war über die 1950 zum ersten Mal ausgetragene Carrera Panamericana nicht bekannt, außer dass sie mit zum Teil höchsten Geschwindigkeiten über mehr als 3000 Kilometer öffentliche Straßen quer durch Mexiko führte. Klar war auch, dass die Strecke zum Teil in großer Höhe lag und dass der Veranstalter fürstliche Start- und Preisgelder ausgelobt hatte. Obwohl man weder die Gegebenheiten vor Ort noch die Qualität des zum großen Teil aus US-Fahrzeugen bestehenden Starterfelds sicher einschätzen konnte, wagte man eine Teilnahme vor allem mit Blick auf die Publizitätswirksamkeit eines guten Abschneidens auf dem amerikanischen Kontinent. Durch die stattlichen Startgelder war auch der gewaltige Vorbereitungs-, Logistik- und Kostenaufwand der Expedition, wie Rennleiter Neubauer den Einsatz in Mexiko durchaus zutreffend bezeichnete, zu vertreten.

Mit drei 300 SL Rennsportwagen – zwei Coupés und einem Roadster mit normalem Radstand – und den Fahrerteams Kling/Klenk, Lang/Grupp und Fitch/Geiger nahm man die Carrera Panamericana mutig in Angriff. Zwar hatte man im Vorfeld viele vor Ort auftauchende Probleme gelöst, etwa die Frage nach der optimalen Kraftstoffmixtur oder die nach der besten Motoreinstellung für Streckenabschnitte in großer Höhe. Dennoch blieben zahlreiche Unwägbarkeiten, zum Beispiel die Haltbarkeit der Reifen bei hohem Dauertempo auf mexikanischen Straßen.

Ebenfalls nicht kalkulierbar war der Zwischenfall, den der Wagen von Kling/Klenk bereits auf der ersten Etappe des Rennens traf und der Eingang in die universelle Motorsporthistorie gefunden hat. Ein vom herannahenden 300 SL aufgeschreckter Geier stürzte sich auf das mit Tempo 200 rollende Coupé von Kling und Klenk, prallte auf die Windschutzscheibe und durchschlug sie, wobei Hans Klenk Gesichtsverletzungen erlitt. In Folge dessen wurde das Fahrzeug am Ende des Tages kurzerhand mit Gitterstreben vor der neu eingesetzten Windschutzscheibe versehen, um einem weiteren Einschlag vorzubeugen.

Dieses dramatische Geschehen hielt das Team Kling/Klenk im weiteren Verlauf des Rennens aber keineswegs davon ab, unverändert Druck auf den führenden Ferrari auszuüben. Nach fünf aufreibenden Renntagen und acht Etappen mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von bis zu 213 km/h war das kaum für möglich Gehaltene vollbracht: Nicht nur die Mannschaft Kling/Klenk, auch das Fahrerteam Lang/Grupp hatte die hartnäckigen Kontrahenten aus Italien niedergekämpft und für einen Doppelsieg der Untertürkheimer Werksabordnung gesorgt. Der einzige 300 SL (W 194) in Roadsterausführung unter der amerikanisch-deutschen Besatzung John Fitch und Eugen Geiger kam zwar mit der fünftschnellsten Gesamtzeit ins Ziel, wurde aber aufgrund eines unbeabsichtigten Reglementverstoßes am Start zur vorletzten Etappe nicht gewertet.

Die Bilanz der ersten unter Werksägide absolvierten Motorsportsaison der Nachkriegszeit hätte für Daimler-Benz nicht besser ausfallen können. Der 300 SL Rennsportwagen entpuppte sich als Volltreffer – trotz wesentlich größerer Seriennähe als die Einsatzfahrzeuge der härtesten Wettbewerber sie aufwiesen. Vier Siege und ein zweiter Platz bei fünf Rennteilnahmen waren eine klare Botschaft an die Welt des Automobilsports: Mercedes-Benz war nach mehr als 10-jähriger Unterbrechung zurück und hatte zweifellos noch Großes vor.

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