Mercedes-Benz 220 SE (W 111), 1960 - 1964

Mercedes-Benz 220 SE (W 111), 1960 - 1964

Mit ihrem Rückzug vom werkseitig betriebenen Spitzen-Motorsport zum Ende der Saison 1955 setzte die Daimler-Benz AG ein aufsehenerregendes Zeichen. Gleichwohl war den Führungsgremien des Unternehmens absolut klar, dass ein solches Engagement stets zahlreiche positive Effekte nach sich zog. Die erfolgreiche Präsenz von Mercedes-Benz auf den Rennstrecken der Welt steigerte den abstrakten Wert der Marke und zugleich ihren Nimbus. Zudem wurde die Markenbindung des entsprechend geneigten Publikums weiter erhöht und die Motivation innerhalb des Unternehmens gesteigert. Das Ende der vom Werk ausgehenden Formel-1- und Rennsportwagen-Einsätze stellte sich also vor allem als Rückzug aus dem grellen medialen Scheinwerferlicht dar, das weltweit auf die beiden spektakulären Top-Kategorien des Automobilsports fiel.

Auf anderer motorsportlicher Ebene herrschte dagegen Kontinuität, was die Aktivitäten der Stuttgarter anbetraf. Wie schon im Jahr zuvor war unter anderem das Duo Walter Schock/Rolf Moll Mitte Januar 1956 – kaum drei Monate nach dem offiziellen Ende allen Motorsportengagements – mit einer Mercedes-Benz 220 a Limousine der Baureihe W 180 bei der Rallye Monte-Carlo gestartet und hatte den zweiten Platz im Gesamtklassement belegt. Am Ende des Jahres gelang es dem Team sogar, den Titel der Rallye-Europameister zu erringen. Zwar handelte es sich dabei formell nicht um einen Werkseinsatz, da solche in der damaligen Rallye-Europameisterschaft nicht zulässig waren, aber der Wagen war in der Sportabteilung des Werks unter der Leitung von Karl Kling vorbereitet worden.

Mit der Premiere der Nachfolgebaureihe W 111 im August 1959 tat Mercedes-Benz den nächsten Schritt auf dem Parkett des Rallyesports. Zwar war der Zuschnitt der Veranstaltungen wie der Fahrzeuge noch sehr weit von dem entfernt, was aus heutiger Sicht und seit mehr als vier Jahrzehnten unter Rallyesport verstanden wird, aber der unmittelbare technische Bezug der damaligen Einsatzfahrzeuge zu den entsprechenden Großserien-Pkw machte diese Spielart des Automobilsports auch für Daimler-Benz zu einem attraktiven Betätigungsfeld, das im Hintergrund durchaus mit Nachdruck beackert wurde.

Wie bereits sein Vorgänger war auch der Sechszylinder-„Heckflossen-Mercedes“ für den Charakter des Rallyesports, der in jener Epoche eher einer sportlichen Zuverlässigkeitsfahrt glich, wie geschaffen. In den sehr vielfältigen Teilnehmerfeldern der Rallye-Europameisterschaft stellte die viertürige Limousine in ihrer Spitzenversion 220 SE mit dem 2,2 Liter großen Sechszylinder-Einspritztriebwerk eines der in seinen Abmessungen größten und mit seiner Motorleistung stärksten Fahrzeuge dar.

Technisch wie in ihrem äußeren Erscheinungsbild blieb die Rallyeversion gegenüber dem Serienfahrzeug weitestgehend unverändert. Entsprechend den damals gültigen Reglements waren nur einzelne, sehr gezielte Eingriffe möglich und nötig, um den Erfordernissen des Rallyesports Rechnung zu tragen. Mit seiner selbsttragenden Karosserie, die auf einer extrem robusten Rahmenbodenanlage ruhte, widerstand der 220 SE auch härtestem Rallyegeläuf.

Gleiches galt für die Auslegung der Radaufhängungen. Vorne kam eine Doppelquerlenkerachse mit Schraubenfedern und außen liegenden Teleskopstoßdämpfern zum Einsatz. Für eine Begrenzung der Seitenneigung in schnell genommenen Kurven sorgte ein Drehstabstabilisator. Als Hinterradaufhängung fungierte die bei Mercedes-Benz schon traditionelle Eingelenk-Pendelachse, die gleichfalls mit Schraubenfedern und außen liegenden Teleskopstoßdämpfern ausgerüstet war. Eine zusätzliche Ausgleichsfeder sorgte auch bei hohem Tempo für ein ausgewogenes Fahrverhalten der Limousine. Dem Serienstandard entsprach auch die Bremsanlage mit vier turbogekühlten Duplex-Trommelbremsen, deren Trommeln zur besseren Wärmeabfuhr nach dem Alfin-Verfahren gegossen waren.

Der mit einer Saugrohreinspritzung aufwartende 2,2-Liter-Sechszylinder war – speziell für den Wettbewerbseinsatz – das größte Kapital des 220 SE. Leicht kurzhubig ausgelegt und mit einer oben liegenden Nockenwelle ausgerüstet, war er ein Garant für satte Leistungsentfaltung über ein breites Drehzahlspektrum. Die Rallye-Triebwerke erhielten in der Mercedes-Benz Sportabteilung eine spezielle Nockenwelle sowie neue Auspuffkrümmer – beides Maßnahmen, die einer dezenten Leistungssteigerung dienten. Nominell stellte der Einspritzmotor der Baureihe M 127 ein Leistungsvolumen von 88 kW/120 PS bei 4800/min sowie einen Drehmomentbestwert von 186 Nm/19,3 mkg bei 3900/min bereit. In Verbindung mit der hohen mechanischen Belastbarkeit und Zuverlässigkeit des Aggregats reichte dies aus, um dem 220 SE eine führende Rolle im damaligen Rallyesport zu sichern.

Ebenso robust wie der Motor und deshalb genauso gut im Wettbewerb einsetzbar präsentierte sich die Kraftübertragung der fahrfertig rund 1400 Kilogramm wiegenden Limousine. Einzige Veränderung am ansonsten serienmäßigen 4-Gang-Getriebe war der Umbau von der Lenkrad- auf eine Mittelschaltung, die den Erfordernissen im Rallyeeinsatz wesentlich besser entsprach.

In der zehn Veranstaltungen umfassenden Rallye-Europameisterschaft 1960 rollten im Verlauf der Saison drei in der Untertürkheimer Sportabteilung exzellent vorbereitete 220 SE an den Start. Beschickt wurden acht der insgesamt zehn Läufe, darunter so renommierte und anspruchsvolle Veranstaltungen wie die Rallye Monte-Carlo, die Tulpenrallye, die Rallye Akropolis und die RAC Rally. Wie schon in den Jahren zuvor profilierte sich das Duo Schock/Moll auf einem 220 SE als Spitzenteam.

Schon der traditionelle Saisonstart, die im Januar abgehaltene Rallye Monte-Carlo, endete mit einem Paukenschlag: Hinter den Siegern Schock/Moll belegten mit Böhringer/Socher und Mahle/Ott zwei weitere Teams mit ihren 220 SE die Plätze zwei und drei. Komplettiert wurde der triumphale Auftritt von Mercedes-Benz durch den fünften Rang der niederländischen Mannschaft Tak/Swaab, ebenfalls auf einem 220 SE.

Auch bei den verbleibenden Saisonläufen erwies sich die „Heckflosse“, besonders in den Händen von Walter Schock, als dominierendes Fahrzeug der Rallye-Europameisterschaft. Am Ende standen neben zwei weiteren Gesamtsiegen und einem Klassensieg für Schock und Moll noch je ein zweiter, dritter, vierter und fünfter Rang für die Stuttgarter Mannschaft zu Buche. Im Schlussklassement des Championats summierten sich diese Erfolge nach 1955 und 1956 zum dritten Europameistertitel für Mercedes-Benz und zum zweiten für das Duo Schock/Moll – sportlicher Lorbeer, dessen Strahlkraft nicht mit der einer Formel-1- oder Sportwagen-Weltmeisterschaft zu vergleichen war, der aber besonders prägnant die überragende Qualität der Mercedes-Benz Serien-Pkw in den Blickpunkt rückte.

Aufsehenerregende Erfolge stellten sich auch in den Folgejahren ein: 1961 Doppelsiege bei der Rallye Algier-Zentralafrika und der Rallye East African Safari, 1962 Siege bei der Rallye Akropolis, der Polen Rallye sowie der legendären Lüttich-Sofia-Lüttich und damit der Gewinn der Rallye-Europameisterschaft für Eugen Böhringer. In beiden Jahren siegte der 220 SE zudem beim Großen Straßenpreis von Argentinien für Tourenwagen – einem Langstreckenrennen über mehr als 4500 km auf z.T. unbefestigten Straßen in Südamerika. 1963 setze Mercedes-Benz das Rallye-Engagement mit dem 300 SE fort, der 220 SE erzielte aber auch 1963 und 1964 noch bemerkenswerte Erfolge.

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