Mercedes 120 PS Grand-Prix-Rennwagen, 1906

Mercedes 120 PS Grand-Prix-Rennwagen, 1906

Nach dem wenig zufriedenstellenden Verlauf der Saison 1905 war bei der DMG dringender Handlungsbedarf gegeben, um 1906 wieder Anschluss zu finden und an die Erfolge der früheren Jahre anknüpfen zu können. Wilhelm Maybach setzte auf eine grundlegend neue Konstruktion, deren Motor und Fahrgestell überaus modern konzipiert war. Der neue Rennwagen, insbesondere der von Maybach vorgesehene Sechszylindermotor mit obenliegender Nockenwelle und Hochspannungs-Magnetzündung, führte zwischen dem „König der Konstrukteure“ und seinen Vorstandskollegen jedoch zu schwerwiegenden Differenzen, die die Entwicklung verzögerten, und so musste man für die Saison 1906 noch einmal auf den Vierzylinderwagen setzten.

Der Vorjahreswagen wurde in einzelnen Punkten modifiziert: Das Fahrgestell erhielt einen auf 2920 mm verlängerten Radstand sowie einen etwas weiter vorn positionierten Tank. . Einige Quellen nennen zudem eine Modifikation des Motors mit einem um 4 mm verlängerten Hub und dem entsprechend geringfügig vergrößerten Hubraum von 14.432 cm³, dies ist aber durch Primärquellen nicht schlüssig belegt.

Nach Querelen um das Gordon-Bennett-Rennen und seine reglementbedingte Limitierung auf drei Teilnehmer pro Nation hatte der Automobile Club de France (ACF) nach schwierigen Abstimmungen mit den französischen Automobilherstellern und dem erst kurz zuvor gegründeten Internationalen Automobilverbands AIACR (Association Internationale des Automobile Clubs Reconnus) Anfang 1905 den Kompromiss erzielt, ab 1906 den Grand Prix de l’Automobile Club de France als Ersatz für den Coupe Internationale zu veranstalten und im Falle eines französischen Siegs beim Gordon-Bennett-Rennen 1905 – der dann tatsächlich eintrat – 1906 kein Rennen für diesen Wettbewerb mehr zu veranstalten. Der erste Grand Prix de l‘ A.C.F. fand am 26. und 27. Juni 1906 auf dem Rundkurs de la Sarthe unweit von Le Mans statt. Der 103,18 Kilometer lange Dreieckskurs war an beiden Tagen jeweils sechsmal zu umfahren, entsprechend einer Gesamtdistanz von 1238 Kilometern. An den Start gingen 32 Rennwagen von 12 Herstellern, darunter drei Mercedes 125 PS, die von Camille Jenatzy, dem Italiener Vincenzo Florio und dem Franzosen Mariaux gesteuert wurden. Nach zwei strapaziösen Tagen und einer Fahrzeit von insgesamt 12 Stunden und 14 Minuten siegte Ferenc Szisz auf Renault; außer ihm erreichten nur 10 weitere Wagen das Ziel, darunter die beiden Mercedes von Alexander Burton und Mariaux, die allerdings als letzte mit mehr als vier Stunden Rückstand auf den Sieger eintrafen. Der dritte Mercedes mit Vincenzo Florio hatte bereits in der letzten Runde des ersten Tags nach einem Reifenschaden mit Felgendefekt aufgeben müssen. Burton war zu Beginn des zweiten Tages als Ersatzfahrer für Jenatzy eingesprungen, nachdem dieser das Rennen mit stark entzündeten Augen am Ende des ersten Tages abbrechen musste. Den feinen Abrieb der geteerten Strecke hatten die Schutzbrillen nicht abhalten können, und Jenatzy war so sehr beeinträchtigt, dass er sich einer Augenoperation unterziehen musste.

Der große Zeitverzug, mit dem die beiden Mercedes im Ziel eintrafen, lag vor allem in Reifendefekten begründet. Dies sah auch die Fachpresse so; die „Allgemeine Automobil-Zeitung“ zitierte in ihrer Ausgabe vom 8. Juli 1906 den Pariser „New York Herald“: „Die zwei Mercedes, die für den zweiten Tag übrig blieben, waren infolge von Pneumatikschäden hoffnungslos geschlagen. Immer und immer wieder fanden sich Mariaux und Mr. Burton (dieser war für Jenatzy eingesprungen) ohne einen Reifen an dem rechten Hinterrad und sie mußten kilometerlang auf den Felgen fahren. Die Maschinen selbst gingen großartig. Mariaux, den ich heute abends sah, sagte mir dass während der ganzen 1200 km an seinem Motor nicht das geringste passierte, und Jenatzy, dessen Augen durch den Staub furchtbar in Mitleidenschaft gezogen waren, sagte mir dasselbe. […] Die abnehmbare Felge, die von dem Sieger Szisz verwendet wurde, trug hauptsächlich zu dem Siege des Renault Wagens bei. Szisz wechselte die Pneumatiks während der ganzen 1200 km nicht weniger als neunzehnmal, doch mit Hilfe der abnehmbaren Felge wurden bei diesen Operationen jedesmal kaum fünf Minuten verloren. Kein Zweifel, daß alle Maschinen, die das Rennen vollendeten und offiziell klassifiziert wurden, gleich gut sind. Hätten alle unverletzbare Pneumatiks gelabt, so hätten sie möglicherweise alle in sehr kurzen Zeitintervallen voneinander das Ziel erreicht.“

Für die DMG war diese Einschätzung sicher nur ein schwacher Trost. Beim Ardennen-Rennen, das am 13. August - sieben Wochen nach dem Grand Prix – zum fünften Mal auf der Rundstrecke bei Bastogne ausgetragen wurde, konnten die Mercedes 125 PS von Otto Salzer, Camille Jenatzy und Alexander Burton auch kein besseres Ergebnis einfahren, obwohl sie diesmal mit abnehmbaren Felgen ausgestattet waren. Burton war wieder eingesprungen – diesmal für Mariaux, der krank am Start erschienen war – fiel allerdings in der zweiten von 7 Runden aus. Von den 19 gestarteten Wagen erreichten 12 das Ziel; Sieger wurde Duray auf de Dietrich, während Salzer und Jenatzy mit den Plätzen 9 und 10 vorliebnehmen mussten. In ihrer Ausgabe vom 26. August 1906 zitiert die „Allgemeine Automobil-Zeitung“ die französische „Les Sports“: „[…] Wir können daher den Mercedes, die so wundervolle Tourenvehikel bauen, den Vorwurf nicht ersparen, daß ihre Rennwagen, auf denen die Blicke der ganzen Welt ruhen […] nicht auf der gleichen Höhe wie die Tourenvehikel stehen. Mercedes war nur mit den alten Rennwagen von 1905 zur Stelle, und dafür haben sie denn auch recht gut abgeschnitten. Salzer, ein Neuling im Rennen, war sogar lange Zeit Zweiter. […] Das Cannstatter Haus ist sich einen neuen Sieg schuldig, und es wird ihn erringen.“

Für Otto Salzer – einen Mitarbeiter in der DMG-Einfahrabteilung, der sein erstes Rennen bestritt, war das Ergebnis ein großer Erfolg, zumal er sogar mit 19 Sekunden Vorsprung vor Jenatzy ins Ziel kam, die DMG konnte ein Rückstand von 38 Minuten auf den Sieger jedoch kaum zufriedenstellen. Die „Allgemeine Automobil-Zeitung“ hatte es in ihrer Wiener Ausgabe bereits am 19. August 1906 auf den Punkt gebracht und den Finger in die Wunde gelegt: „Die Mercedes hatten, wie in allen großen Rennen der letzten Zeit, in welchen sie starteten, auch diesmal kein Glück. […] Die Mercedes-Fahrer starteten übrigens, wie schon im Grand Prix, mit den alten, vorjährigen Rennwagen“. Es war nicht zu übersehen, dass die DMG für eine Rückkehr auf die Erfolgsspur erhebliche Anstrengungen unternehmen musste.

Da war es zumindest ein kleiner Lichtblick, dass Hermann Braun beim achten Semmering-Rennen auf Theodor Drehers Mercedes Rennwagen mit 7 Minuten 47 Sekunden bzw. 77,1 km/h wieder einmal seinen eigenen Vorjahresrekord verbesserte und den Wanderpreis für die beste Zeit aller Kategorien für Dreher sicherte. Mit einer Zeit von 7 Minuten und 58,2 Sekunden bzw. 75,3 km/h kam Willy Pöge auf Platz 2 des Gesamtklassements.

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