Mercedes-Simplex 40 PS Rennwagen, 1902

Mercedes-Simplex 40 PS Rennwagen, 1902

Chefkonstrukteur Wilhelm Maybach und sein Motorenentwickler Josef Brauner machten sich nach den Erfolgen des Mercedes 35 PS umgehend daran, auf Basis des gelungenen Grundkonzepts beim Nachfolgemodell für das Folgejahr weitere technische Verbesserungen zu erzielen. Um diese Verbesserungen neben dem inzwischen etablierten Namen Mercedes auf den ersten Blick deutlich zu machen, erhielt die Markenbezeichnung für das Modelljahr 1902 den Zusatz „Simplex“ – das lateinische Wort für „einfach“, das die leichte Bedienbarkeit in den Vordergrund stellte. 

Im Zentrum der Entwicklungsarbeit stand zunächst der Vierzylindermotor. Dessen Hubvolumen wurde durch eine leicht vergrößerte Bohrung sowie deutlich verlängerten Hub von knapp 6 auf gut 6,5 Liter angehoben. Im gleichen Zug wurden die beiden unten liegenden Nockenwellen gekapselt. Die Höchstleistung des nur noch mit einem Vergaser versehenen Triebwerks stieg um 5 PS/3,7 kW auf nun 40 PS/29 kW bei einer unveränderten Nenndrehzahl von 1000/min.

Um der gestiegenen Leistung Rechnung zu tragen, ersann man in Cannstatt eine ingeniöse Methode zur nochmals verbesserten Motorkühlung: Man bildete das mit Kurbelwellendrehzahl rotierende Schwungrad als Lüfterrad aus, verkapselte den Motorraum nach unten und erzeugte auf diese Weise eine starke Saugwirkung auf die den Kühler durchströmende Luft. Der erhöhte Kühlluftdurchsatz resultierte seinerseits in einer effizienteren Kühlung.

Auch die Bremsanlage wurde den höheren Fahrleistungen des Mercedes-Simplex 40 PS angepasst. Zwar war die Zeit für eine Vorderradbremse noch nicht gekommen, aber eine zusätzliche Fußbremse sorgte für eine Verbesserung der Verzögerungsleistung. Neben den über Handhebel betätigten Innenbackenbremsen an den Hinterrädern und der fußbetätigten Außenbandbremse an der Getriebeabtriebswelle gab es nun ergänzend zwei weitere Außenbandbremsen, die auf die Antriebswellen der Kettenräder wirkten. Diese waren getrennt voneinander bedienbar, was einem gewieften Fahrer, der mit dem komplexen System umgehen konnte, in Kurven gewisse Traktionsvorteile bot. Zur Erhöhung der thermischen Belastbarkeit waren die Bremsen sogar mit einer Wasserkühlung versehen. Dabei fielen während des Bremsvorgangs aus einem Vorratsbehälter einzelne Tröpfchen auf die Reibflächen.

Um auch die Fahreigenschaften des Mercedes-Simplex 40 PS weiter zu verbessern, verlängerte Maybach dessen Radstand gegenüber dem 35-PS-Modell um 205 mm auf 2450 mm. In Verbindung mit einem auf 942 kg reduzierten Fahrzeuggewicht resultierte diese Maßnahme in einem ebenso stabilen wie leichtfüßigen Fahrverhalten.

Wie zielgerichtet die Entwicklungsarbeit von Maybach und Brauner gewesen war, zeigte sich bereits bei den ersten motorsportlichen Auftritten des Mercedes-Simplex 40 PS im Rahmen der Rennwoche von Nizza im April 1902. Beim Bergrennen Nizza-La Turbie am 7. April, das in diesem Jahr den Auftakt der Rennwoche bildete, belegten die vier gestarteten 40 PS, die von dem Briten E. T. Stead, dem Franzosen Albert Lemaître, dem Vorjahressieger Wilhelm Werner und dem Franzosen Henri Degrais gesteuert wurden, die Plätze 1, 2, 3 und 5. Die gleichen Platzierungen wurden auch beim Meilen- und Kilometer-Rennen am 13. April erzielt; hier war die Reihenfolge Degrais - Werner - Lemaître - Stead. Degrais erreichte mit fliegendem Start eine Geschwindigkeit von 103,4 km/h – gegenüber dem Vorjahresmodell Mercedes 35 PS eine Verbesserung um nicht weniger als 17 km/h. Die einzigen Wettbewerbe der Woche von Nizza, bei denen der neue Mercedes nicht den Sieg erzielte, waren die Sprintrennen um den Coupe Rothschild und den erstmals ausgetragenen Coupe de Caters. Dabei siegte erneut Léon Serpollet, dessen neuer Dampfwagen Oeuf de Pâques („Osterei“) mit einer strömungsgünstigen Karosserie aufwartete und über den fliegenden Kilometer 120,82 km/h erreichte. Die gleiche Geschwindigkeit wurde im Juli beim Kilometer-Rennen im belgischen Oostende für Baron Pierre de Caters auf Mercedes-Simplex 40 PS notiert.

Nicht weniger erfolgreich war der Wagen, wenn es neben dem Tempo vor allem um Zuverlässigkeit ging. Bei der vom 26. bis 29. Juni 1902 veranstalteten Fernfahrt Paris – Wien über insgesamt 1429 Kilometer (davon 312 Kilometer neutralisiert durch die Schweiz) kam der gebürtige US-Amerikaner Eliot Zborowski mit einem Mercedes-Simplex 40 PS als Erster in der schweren Klasse ins Ziel, kurz nach Marcel Renault auf einem Renault der leichten Klasse. Zborowski, der sein erstes großes Rennen bestritt, wurde jedoch sein Klassensieg und sein zweiter Platz im Gesamtklassement wieder aberkannt, da ein außerplanmäßiger 48-Minuten-Aufenthalt in der neutralisierten Etappe zur großen Verwunderung von Öffentlichkeit und Fachpresse seiner Fahrzeit zugeschlagen wurde. Durch diese nicht nachvollziehbare Maßnahme rutschte Zborowski im Gesamtklassement auf Platz 5 und büßte auch seinen Sieg in der schweren Klasse wieder ein – was aber seiner beachtlichen Leistung in diesem Rennen keinen Abbruch tut.

Auch beim Semmering-Rennen im September 1902 – dem populären Bergrennen über 10 Kilometer und 400 Höhenmeter von Schottwien auf den Semmering, das bereits zum vierten Mal stattfand – sorgte der Mercedes-Simplex 40 PS für Schlagzeilen. Auf dem Wagen des US-amerikanischen Millionärs und Automobilenthusiasten Clarence Gray Dinsmore fuhr Wilhelm Werner mit einem neuen Streckenrekord von 10 Minuten und 37,2 Sekunden bzw. 56,5 km/h zum Sieg im Gesamtklassement. Dinsmore gewann den von Theodor Dreher für die beste Zeit aller Kategorien gestifteten Wanderpreis.

Einen weiteren bemerkenswerten Erfolg erzielte der 40-PS-Wagen auch bei dem in vieler Hinsicht außergewöhnlichen Rennen Paris – Madrid im Mai 1903, das von den französischen Behörden infolge zahlreicher Unfälle mit Todesfolge bereits in Bordeaux abgebrochen wurde: Bei der vorzeitigen Beendigung nach 552 Kilometern lag Eugen Max mit seinem Mercedes-Simplex 40 PS unter den 110 Teilnehmern, die es bis ins Etappenziel geschafft hatten, an Position 15. Schnellere Mercedes-Fahrer waren nur John B. Warden auf 60 PS (Platz 5), Gastaud auf 60 PS (Platz 8) und Camille Jenatzy auf 90 PS (Platz 14). Die Fachpresse bewertete das Abschneiden des 40 PS sehr positiv: „Die Leistung des 40 HP Wagens müßte eigentlich den Stolz der Daimler-Werke bilden. Denn der 40 HP Mercedes-Wagen hat sich auf einen Platz durchgearbeitet, den er seiner motorischen Stärke nach nicht beanspruchen durfte. Was ist Alles hinter diesem 40 HP geblieben, und wie wenig befindet sich vor ihm! Man kann es ruhig sagen, die Leistung des 40 HP Mercedes in diesem Rennen bildet einen der schönsten Triumphe der Daimler Gesellschaft.“

Ähnlich wie bei seinem Vorgänger währte auch die Motorsportkarriere des Mercedes-Simplex 40 PS nur kurz, standen doch im Folgejahr mit dem 60 PS und dem 90 PS gleich zwei neue Hochleistungswagen zur Verfügung.

Lade...